Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nacht ohne Erbarmen

Nacht ohne Erbarmen

Titel: Nacht ohne Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
Vom Netzwerk:
gerade die Windschutzscheibe ab.
      Rosa Solazzo fragte hinter mir: »Wollen Sie irgendwohin, Mr. Wyatt?«
      Ich drehte mich um und erwiderte vergnügt: »Ja, nach Palermo, wenn es Ihnen recht ist.«
      »Aber natürlich. Ich werde Ciccio Bescheid sagen, daß er Sie überallhin bringt, wohin Sie wollen.«
      Das war sehr geschickt gemacht und kam ohne das geringste Zögern. Der sizilianische Dialekt ist dem italienischen sehr ähnlich – bis auf ein oder zwei abweichende Vokale und einen Akzent, den man sehr deutlich hören konnte. Während wir die Stufen hinuntergingen, sagte sie in diesem Dialekt: »Der Amerikaner möchte nach Palermo. Richte dich nach seinen Wünschen und fahr ihn überallhin, aber paß gut auf ihn auf.«
      Ciccio hielt mir den Wagenschlag auf. Ich sagte zu ihm: »Wenn Sie das machen, Ciccio, reiße ich Ihnen die Ohren ab.«
      Das ungefähr meinte ich, aber ich gebrauchte die Ausdrucks
    weise, die man im Hafen von Palermo hört und sonst nirgendwo.
      Ihm blieb vor Überraschung der Mund offenstehen. Die Frau fuhr herum. Ich übersah ihre besorgte Miene und bestieg den Mercedes. Ciccio schlug die Tür zu und setzte sich ans Steuer. Er warf ihr einen fragenden Blick zu. Sie nickte, und wir rollten davon.
      Ich ließ mich auf der Piazza Pretoria absetzen. Erstens war es ganz gleichgültig, wohin ich ging, und zweitens mochte ich schon immer diesen erstaunlichen Barockbrunnen mit den herrlich vulgären Figuren von Flußnymphen, Tritonen und niederen Gottheiten. Am Nordende der Bucht ragte der Monte Pellegrino in der Spätnachmittagssonne auf. Ich ging an der herrlichen alten Kirche von Santa Caterina vorüber, bog in die Via Roma ein und schlenderte auf den Hauptbahnhof zu.
      In einer Seitengasse kam ich an einer Menschenschlange vorüber, die auf den Einlaß in ein Marionettentheater wartete. Es handelte sich hauptsächlich um Touristen. Nach dem, was ich aufschnappte, waren es überwiegend Deutsche. Ihnen blühte eine hübsche Überraschung. Auch heute noch weigern sich die alten Puppenspieler hartnäckig, von ihren Gebräuchen abzuweichen. Die Dialoge werden in einem Sizilianisch vorgetragen, das nicht einmal ein Italiener verstehen kann.
      Auf der Herfahrt vom Flughafen waren mir ein oder zwei der alten, handbemalten Pferdewagen mit Messingbeschlägen auf gefallen, die von federgeschmückten Gäulen gezogen wurden, aber die meisten Bauern schienen heutzutage mit Vespas und Lambrettas herumzufahren. Die Tradition galt wohl nicht mehr viel. Aber kurz bevor ich die Via Lincoln erreichte, sah ich dicht vor mir am Straßenrand eine Mietkutsche stehen.
      Sie hatte ihre beste Zeit auch schon hinter sich. Das Holz wies Risse auf, das Ledergeschirr war altersschwach, aber alles wirkte liebevoll gepflegt, das Messing schimmerte in der Sonne, und ich roch die Wachsschicht der Polsterung.
      Der Kutscher mochte etwa achtzig Jahre alt sein. Er hatte ein Gesicht wie eine Walnuß und einen beiderseits hochge zwirbelten langen weißen Schnurrbart. Vom ersten Wort an schien er mich für einen Sizilianer zu halten.
      In Palermo muß man selbst für die kleinste Fahrt mit dem Kutscher handeln. Für einen Touristen kann das ungewohnt sein, doch ich hatte nicht die geringsten Schwierigkeiten. Als ich ihm mein Ziel nannte, hob er die Augenbrauen und sah mich mit einer Art von Respekt an, die gar nicht überraschend war. Schließlich besucht niemand aus reinem Spaß einen Friedhof, und für einen Sizilianer ist der Tod eine ernste Sache.
      Unser Ziel war ein altes Benediktinerkloster etwa eine Meile außerhalb der Stadt in Richtung auf den Monte Pellegrino. Die Kutsche brauchte eine ganze Weile für die Strecke, aber das war mir nur recht, weil ich nachdenken mußte.
      Wollte ich diese Sache denn wirklich bis zum Ende durchstehen? War das nötig? Darauf gab es keine Antwort. Aber ich stellte mit einiger Überraschung fest, daß ich kühl und leidenschaftslos über die Sache nachdenken konnte, was früher ganz gewiß nicht der Fall gewesen war. Früher war mein Gehirn wie eine offene Wunde gewesen, und jeder Gedanke schmerzte und stach, aber jetzt…
      Die Sonne war gesunken, und über das Meer zogen Wolken heran, geschoben von einem kühlen Wind. Als wir das Kloster erreichten, sagte ich ihm, daß er warten solle, dann stieg ich aus.
      »Verzeihen Sie, Signor«, sagte er. »Ruht hier ein naher Verwandter von Ihnen?«
      »Meine Mutter.«
      Es war seltsam, aber erst in

Weitere Kostenlose Bücher