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Nacht ohne Erbarmen

Nacht ohne Erbarmen

Titel: Nacht ohne Erbarmen
Autoren: Jack Higgins
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auf die Knie gezwungen hätte. Burke sah durch sie hindurch, als existiere sie überhaupt nicht, und bestellte sich etwas zu trinken.
      Da ich mit dieser Lola mehr als nur flüchtig befreundet war, glaubte ich ihn darauf aufmerksam machen zu müssen, daß er hier wirklich etwas versäumte. Aber vielleicht sprach auch nur der Whisky aus mir. Ich war ihn damals noch nicht so ge wöhnt, und außerdem war er gefährlich billig. Als ich den Kopf hob, stand er neben mir, ein Glas Bier in der Hand.
      »Das sollten Sie sein lassen«, sagte er, als ich mir einen neuen Whisky eingoß. »Bei diesem Klima schadet das nur.«
      »Das ist meine Sache.«
      Vermutlich war das genau die rechte Antwort für den harten, heimatlosen Abenteurer, für den ich mich damals gern hielt. Ich hob ihm das Glas entgegen. Er erwiderte den Gruß ruhig mit ausdrucksloser Miene, und als ich das Glas an die Lippen hob, kostete es mich eine echte physische Anstrengung. Der Whisky schmeckte ekelhaft. Ich würgte und stellte das Glas eilig wieder hin. Dann hob ich die Hand an die Lippen.
      An seinem Ausdruck änderte sich nichts. »Der Barmixer sagte mir, daß Sie Engländer sind.«
      Für einen Engländer hielt ich ihn damals auch, denn seine irische Erziehung machte sich nicht mehr in Ausdrücken und Redewendungen, höchstens noch im Akzent bemerkbar.
      Ich schüttelte den Kopf. »Amerikaner.«
      »Klingt aber nicht danach.«
      »Ich habe das, was man die entscheidenden Jahre nennt, in Europa verbracht.«
      Er nickte. »Können Sie zufällig ›Die Lerche in der blauen Luft‹ spielen?«
      »Na klar«, sagte ich und brachte eine recht anständige Wiedergabe des schönen, alten irischen Volkslieds zustande.
      Der berühmte MacCormick war ich zwar nicht, aber es war nicht übel, auch wenn ich das von mir selbst sage. Er nickte sachlich, als ich fertig war. »Sie sind gut – viel zu gut für diese Spelunke.«
      »Danke«, sagte ich. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich rauche?«
      »Ich werde dem Barmixer sagen, daß er Ihnen ein Bier schickt«, erwiderte er ernsthaft.
      Er ging zur Bar zurück, und einen Augenblick später tippte ihm einer von Coimbras Muskelmännern auf die Schulter. Nach einer kurzen Unterhaltung gingen sie zusammen nach oben.
      Lola kam mit gewaltigem Gähnen zu mir herüber.
      »Du ziehst nicht mehr richtig«, sagte ich.
      »Bei dem Engländer?« Sie zuckte die Achseln. »Diese Sorte kenne ich. Sind nur halbe Männer, groß und stark in jeder Hinsicht, nur nicht da, wo's drauf ankommt.«
      Sie ging weiter, und ich dachte über ihre Worte nach, während ich einen langsamen Blues klimperte. Damals glaubte ich noch, daß sie das nur so dahergesagt hatte, vielleicht aus verletztem Berufsstolz, weil er sie übersehen hatte. Ein Mann braucht nicht schon deshalb verkehrt zu sein, weil er sich nicht viel um Frauen kümmert, obgleich ich meinerseits es nie als eine Tugend betrachtet habe, irgendeine Gelegenheit auszu lassen. Für mich war das eben das größte Vergnügen im Leben. Das sizilianische Blut in meinen Adern entdeckte eben schon sehr früh, daß im Schrank zweierlei Kleider hingen.
      Als ich dann mein Stück beendet hatte, zündete ich mir eine Zigarette an. Aus irgendeinem Grund trat nun einer jener Tiefpunkte ein, die man überall in Gesellschaft anderer erleben kann. Alle schienen plötzlich zu verstummen, und die ganze Atmosphäre glich auf geheimnisvolle Weise einem Traum. Es war, als stünde ich draußen und sähe alles, was sich in dem überfüllten Raum bewegte, wie im Zeitlupentempo.
      Was wollte ich eigentlich hier am Rand des dunklen Kontinents, der mich rings umgab? Überall Gesichter, die aus dem Dunst auftauchten – schwarze, weiße, braune und ge mischte – Strandgut ohne jegliches Band, das uns zusammen hielt, weil alle vor irgend etwas davonliefen.
      Plötzlich hatte ich genug. Ich hatte mich selbst gesehen, und zwar nicht so, wie ich im Augenblick war, sondern so, wie ich schon bald sein würde, und was ich da sah, gefiel mir nicht. Ich fühlte mich klebrig und verschwitzt und beschloß, nach oben zu gehen und mein Hemd zu wechseln. Heute ist mir natürlich klar, daß ich nur nach einem Vorwand suchte, um hinausgehen zu können.
      Mein Zimmer lag im dritten Stock, Coimbra hatte seine Wohnung im zweiten, und die Mädchen wohnten darunter. Auch sonst war es still hier oben, weil Coimbra das so wünschte, aber als ich jetzt am Ende des Flurs
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