Nacht ohne Schatten
waves had taken all of me,
singt Laura Veirs. Frage mich, ob die Wellen mich ganz hinunter ins Schwarz gezogen haben, dorthin, wo die Würmer regieren, in den Tiefen der See. Es ist ein Versuch, nur ein Versuch, verspricht Judith sich, als sie eine Viertelstunde später vor Gero Sandersâ Journalistenbüro parkt. Wenn es nicht klappt, fahre ich sofort heim.
Sanders springt auf, sobald er sie sieht. Judith muss lächeln, weil er so eifrig ist, sich so offensichtlich freut, sie zu sehen. Sie lässt sich den Mantel abnehmen und eine Tasse Kaffee bringen, bevor sie seine Hoffnung auf eine Topstory zerstört.
»Das mit dem Interview hat sich erledigt, Anweisung von oben. Ich bin bei meinen Vorgesetzten gerade nicht allzu beliebt.«
Er schiebt ihr eine Schale mit Erdnusskeksen hin, ohne den Blick von ihr zu wenden. »Und um mir das mitzuteilen, sind Sie hier?«
Sie nimmt einen Keks. »Ich brauche Ihre Hilfe als Journalist.«
»Sie wollen, dass ich eine Nachricht lanciere?«
»Nein, im Gegenteil, ich brauche Recherchehilfe. Alte Artikel, Klatsch und Tratsch über gewisse Personen. Beruflich und privat.« Sie beiÃt in das Gebäckstück, verschluckt sich, hustet so sehr, dass Sanders aufspringt und ihr auf den Rücken klopft.
»Danke.« Es ist mehr ein Keuchen als ein klares Wort.
Der Journalist reicht ihr ein Glas Wasser. »Das klingt nicht gut.«
»Ich muss mit dem Rauchen aufhören, es ist nicht gesund. Irgendjemand hat mir das neulich verraten.«
Sanders grinst. »Sie wollen also meine Recherchekünste in Anspruch nehmen. Was zahlen Sie?«
»Wie wärâs mit einem Abendessen?«
Sandersâ Grinsen wird breiter. »Wann?«
»Sobald die Ermittlungen der Soko S-Bahn abgeschlossen sind.« Judith trinkt einen Schluck Wasser. »Die Recherche brauch ich aber sofort.«
Sie fährt Sanders zum WDR-Pressearchiv am Dom, wartet in einem Café in der FuÃgängerzone auf ihn, starrt auf die Menschen, die sich an den Fenstern vorbeischieben, instinktiv darum bemüht, einander nicht zu berühren. Die meisten sehen aus, als hätten sie sich mehr erhofft als diese prall gefüllten Tüten, die sie wie Trophäen mit sich herumschleppen. Zeit vergeht, quälend, zu langsam. Zeit, die Zweifel darüber in Schach zu halten, ob es richtig ist oder Wahnsinn, Sanders zu vertrauen. Zeit, ein Sandwich zu essen. Zeit, im Notizbuch zu blättern und die Fakten zu rekapitulieren, die sich dann doch wieder in Fragen verwandeln. Alexander Nolden oder Paul Klett. Hat Judith recht und einer von beiden ist Nadas Mörder? Ist ein ihr noch unbekannter Liebhaber der Künstlerin der Täter? Ist sie auf dem Holzweg, und es gab gar keinen Mord im Atelier?
»Klatsch und Tratsch und Personalitynews, ganz wie Frau Kommissarin wünschen!«
Gero Sanders hat den hinteren Eingang des Cafés benutzt, Judith hat ihn nicht kommen sehen. Sie zuckt zusammen, als er einen Stapel Kopien vor sie auf den Bistrotisch klatscht. Er bestellt sich einen Espresso, betrachtet interessiert, wie Judith durch die Artikel blättert. Interviews mit Paul Klett über die Kunstfabrik. Ein paar wenige Kurzartikel über Ausstellungen. Unpersönlich, uninteressant. Nada ist ergiebiger, sogar im
Art-Magazin
gibt es ein Porträt von ihr, das jedoch wenig über ihr Privatleben verrät. Eine Reportage über den Tag der offenen Ateliers in der Kunstfabrik. Ein Foto von Paul Klett und Thea Markus, strahlend, Arm in Arm. Noch ein Report über die Kunstfabrik, diesmal hält der Künstler ein Kleinkind an der Hand. Alexander Nolden und seine Mutter Roswitha bei deren Emeritierung und in diversen Galerien. Nolden bei derJahrespressekonferenz seiner Bank, dann auf einem Wagen der Prinzengarde beim Rosenmontagszug. Noldens erste Hochzeit. Die Scheidung wird nirgendwo erwähnt. Wieder ein Interview von Paul Klett über die Kunstfabrik. Dann die zweite Hochzeit Noldens, sehr pompös in den Boulevardblättern präsentiert. Zwei jüngere Ichs von Alexander und Marlene, strahlend und teuer gekleidet, in einer weiÃen Kutsche vor dem Rathausportal. Die Brauteltern. Noch ein Porträt von Nada, anlässlich eines Stipendiums. Paul Klett mit seinem Sohn, in dessen Namen er eine Reihe von Kunstdrucken für die Kinderkrebshilfe spendet. Wohltätigkeit scheint in Künstlerkreisen angesagt zu sein. Auch Alexander Nolden engagiert sich
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