Nacht ohne Schatten
später am Resopaltisch des Vernehmungsraums im Polizeipräsidium. Bittet um ein Glas Wasser. Dann um einen Kaffee. Bespricht sich mit seinem geschniegelten Anwalt, der sich wie aus dem Nichts im Präsidium materialisiert hat, kaum dass sie dort waren. Ja, er sei Zuhälter, gibt Popolow zu, ja, davon lebe er und das gut. Doch das sei ja heute legal, er sei deutscher Staatsbürger, zahle seine Steuern und mit Menschenhandel habe er selbstverständlich nichts zu tun. Seine hellblauen Augen sind wie Gletschereis.
»Swetlana Daschkowa aus Archangelsk«, sagt Manni. »Sie ist minderjährig. Musste bei Ihnen anschaffen.«
»Bedaure«, Popolow trinkt einen Schluck Kaffee. »Das muss eine Verwechslung sein.«
»Wir haben eine Zeugin.«
»Tatsächlich.« Der Russe lächelt, lässt seinen Bizeps spielen. Seine Nase ist wohl schon hin und wieder von jemandem, der Popolow nicht so recht sympathisch fand, aus der Form gebracht worden, ein paar hässliche Höcker zeugen davon. Sein stachelig blondes Haar erinnert Manni an Schweineborsten.
»Wo waren Sie in der Nacht von Freitag, den 6 ., auf Samstag, den 7 . Januar?«
»In meinem Club.«
»Und in der darauffolgenden Nacht?«
»Ebenfalls.«
»Ununterbrochen?«
»Am Wochenende ist immer viel zu tun.«
»Und dafür gibt es Zeugen.«
»Fragen Sie mein Personal.«
Das Personal, na klar. Wie praktisch. Aber sie werden wohl ein paar Kunden auftreiben, deren Erinnerung etwas präziser funktioniert. Vielleicht auch Anwohner. Manni lehnt sich über den Tisch, bringt sein Gesicht ganz nah vor der solariumsverbrutzelten Visage des Zuhälters in Position.
»Ich werde gewinnen, Igor Popolow, verlass dich drauf.«
* * *
KT Tunstall, sehr laut. Dann My Brightest Diamond. Judith läuft am Rhein entlang, raus aus der Stadt, über die Poller Wiesen bis zur Südbrücke und weiter, die Musik aus ihrem iPod in den Ohren. Nebel legt sich auf ihr Gesicht, Millionen Tröpfchen. Das Tageslicht verblasst schon wieder, JudithsAtem ist weiÃ. Neben ihr strömt der Fluss unaufhaltsam nach Norden. Was hat sie von Manni gewollt? Eine Absolution für ihr Schweigen? Die hat sie gewissermaÃen bekommen, jetzt, wo sie nicht mehr ermitteln darf, waren sie sich so nah wie lange nicht. Aber sie hat es nicht geschafft, Manni von ihrer Sichtweise zu überzeugen. Hat sie gehofft, dass ihr das gelänge, dass er in ihrem Sinne weitermacht? Wahrscheinlich, ja. Judith dreht sich eine Zigarette, inhaliert tief. Die Zigarette schmeckt nicht, kann nicht schmecken, weil sie schon zu viele Zigaretten geraucht hat, trotzdem wirft sie sie nicht weg. Zwei verschiedene Verbrechen. Nur durch einen absurden Zufall miteinander verknüpft. Kann das wirklich sein? Viel spricht dagegen, die räumliche und zeitliche Nähe der Taten, die komplexen Verbindungen zwischen den Opfern, aus denen sich eine Vielzahl möglicher Motive ergeben. Und doch: Sobald man die verschwundene Künstlerin Nada nicht als Prostituierte betrachtet, die qua Beruf mit Baldi, Popolow, Swetlana und Berger auf irgendeine Art verbunden ist, wird die Theorie von zwei Tätern plausibel.
Judith kehrt um, läuft zurück nach Deutz, wo sie ihre Ente geparkt hat. Hunger, Erschöpfung und Frust machen sie stumpf, wenn auch nicht stumpf genug. Sie denkt an ihren Bruder Edgar, der sich wünscht, dass sie seine Trauzeugin wird, ausgerechnet sie, und an den Rest ihrer Familie, in der sie sich nie so zu Hause fühlte wie im KK 11 . Sie versucht sich davon zu überzeugen, dass ein Wunder geschehen wird, dass Popolow alle Morde gesteht, Swetlana erwacht und aussagen kann, dass Nada noch lebt. Denn all das würde bedeuten, dass sie, Judith, sich nicht entscheiden muss, entweder Coras Vertrauen erneut zu verraten oder ihren Beruf zu verlieren, denn ja, sie kann Millstätt verstehen, sie ist Polizeibeamtin, er ist ihr Vorgesetzter, er hat ein Recht auf ihre Loyalität.
Aber es geht um mehr als um Coras und Millstätts Erwartungen. Es geht um sie selbst, ihre eigenen Werte, ihr Vertrauen auf ihr eigenes Wissen und ihre Intuition, und um die Entscheidungen,die sie auf dieser Basis treffen muss. Jetzt weiÃt du, wie es ist. Abrupt bleibt Judith stehen, weil die Traumbotschaft so auf einmal, zum ersten Mal, einen Sinn ergibt.
Sie erreicht ihre Ente, lenkt sie in den Berufsverkehr auf der Severinsbrücke.
I wondered if the
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