Nacht ohne Schatten
passiert. Es ist überheizt, wie in jedem Bordell, damit die Mädchen nicht frieren. Manni überlegt, ob er seine Jacke um die Hüften binden soll, entscheidet sich aber dagegen, weil er nicht mit dem offen sichtbaren Pistolenholster im Rücken schaulaufen will. Er prüft dessen Sitz mit der Hand, während er auf die erste Hure zusteuert, und denkt an die Druckstelle von Sonjas Küchenstuhl, die irgendwo über dem Holster liegt und bald nicht mehr zu spüren sein wird.
»Französisch, spanisch, anal, worauf hast du Lust, SüÃer?« Die Sprecherin ist sehr jung und spricht mit schwerem slawischen Akzent.
»Wo kommst du her?«
»Prag.« Sie lächelt, spreizt die netzbestrumpften Beine undgreift routiniert nach Mannis Genitalbereich. »Komm, SüÃer, ich bin heiÃ.«
Er wehrt sie ab, indem er ihr erst seinen Dienstausweis und dann die Fotos hinhält. Sie fährt sich mit den rot lackierten Fingernägeln durchs schwarze Haar und schüttelt den Kopf, als sie mit dem Studium der Fotos fertig ist. In ihrem Gesicht ist jetzt nicht mehr die Spur eines werbenden Lächelns zu sehen, es ist, als hätte nun, da klar ist, dass sie an Manni nichts verdienen kann, jemand einen Schalter umgelegt. Manni nickt ihr zu, geht zum nächsten Mädchen, dann zum nächsten und übernächsten. Einige der Hocker vor den Zimmertüren sind leer, was manchmal heiÃt, dass die Mieterin gerade einen Kunden bedient, in anderen Fällen, dass sie gerade Pause macht. Manni geht zurück zum Treppenhaus, spart sich den Besuch eines als
Darkroom
beschilderten Bereichs, zu dem nur Nackte Zutritt haben. Bislang wollte oder konnte keines der Mädchen etwas zu den Fotos sagen. Manni notiert sich, welche Frauen er noch befragen muss, bevor er den zweiten Stock in Angriff nimmt.
Den Bereich, der sich Römerbad nennt und zu »feuchten Spielen mit tabulosen Sklavinnen« einlädt, lässt Manni ebenfalls links liegen, geht lieber wieder den Flur entlang, wo Rosi, Lulu, Polly, Jana und so weiter um seine Aufmerksamkeit buhlen. Ein paar Deutsche, viele Bulgarinnen, Tschechinnen, Polinnen. Knackige, durchaus ansehnliche Mädchen, alle deutlich unter dreiÃig, alle in Reizwäsche, alle mit Gesundheitszeugnis an der Tür. Doch auch hier ernten die Fotos nur Kopfschütteln von den Huren und böse Blicke von ihren Aufsehern und Freiern, und auch im dritten Stock ist das nicht anders.
Manni schwitzt jetzt wie ein Stier in der Sauna, er sieht auf seine Uhr, stellt mit Verwunderung fest, dass schon beinahe eine Stunde vergangen ist, seit er mit der Befragung begonnen hat. Es ist aussichtslos. Ganz deutlich sieht er den weiteren Verlauf dieser blödsinnigen Sucherei vor sich: ein endloser Ritt durch Bordelle und Spelunken, ein Kampf gegen Windmühlen,während in einem anonymen Krankenhausbett ein fremdes Mädchen stirbt. Er wischt sich mit dem Jackenärmel Schweià von der Stirn, nimmt trotzdem das nächste Stockwerk in Angriff. Wenn 150 Huren pro Monat 38 000 Kunden bedienen, macht das um die 50 Freier pro Stunde oder im Schnitt für jede der Ladys pro Tag etwa acht Kontakte. Können die sich überhaupt noch an ein Gesicht erinnern, achten sie da überhaupt noch drauf, solange dafür keine unbedingte Notwendigkeit besteht? Vermutlich nicht, und das kann man ihnen wohl kaum verdenken. Manni denkt an Makowski, der unten gemütlich mit dem Bordellmanager Cola trinkt, dann an die Worte der Krieger. Ich glaube kaum, dass ein Bordellbesuch zum jetzigen Zeitpunkt sinnvoll ist. Manni unterdrückt einen Fluch.
Er versucht zu verdrängen, dass die Ladys im Amor regelmäÃig wechseln, weil die Zimmer tageweise vermietet werden. Es gibt viele Dauermieterinnen, ermuntert er sich. Manchmal braucht man auch ein Quäntchen Glück. Gibt es einen anderen Weg, das Komamädchen zu identifizieren? Macht es eventuell Sinn, nur die Zuhälter und Türstehergorillas zu befragen? Manni ist so sehr in seine Gedanken vertieft, dass er erst zeitverzögert begreift, was es bedeutet, dass die magere tschechische Nutte mit den Kleinmädchenzöpfen eines der Fotos festhält, als er es ihr wieder wegnehmen will.
»Der war mal hier«, sagt sie und tippt mit dem rosa Zeigefingernagel auf das Gesicht des S-Bahn-Fahrers. »Aber das ist lange her.«
* * *
Eine junge Frau mit schulterlangem glattem Haar sieht von ihrem Computermonitor auf, als
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