Nacht ohne Schatten
geht. Sie muss dringend mal wieder waschen. Auch ein Wohnungsputz könnte nicht schaden. Sie sucht in ihrem Kleiderschrank nach etwas Warmem und Bequemem, zieht dann doch wieder dasselbe wie am Vorabend an. Hey, Pippi Langstrumpf, hatte Patrick sie geneckt, als sie diesen Pullover damals kaufte, woraufhin sie beschloss, den besser nicht im Präsidium zu tragen. Wenig später war Patrick gestorben, danach war ihr der Pullover immerzu bunt vorgekommen. Sie mustert sich in dem Spiegel im Flur, bevor sie Stiefel und Ledermantel anzieht, schminkt sich noch die Lippen, bevor sie geht.
Etwas ist vorbei, etwas wird geschehen, sie weià nur nicht, ob es etwas Gutes sein wird.
* * *
Das Komamädchen lebt noch, das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist, dass sie ihrer Identifizierung noch immer keinen Schritt näher gekommen sind. Manni gähnt herzhaft. Nach der erneuten spätabendlichen Besichtigung des Tatorts hätte er sich guten Gewissens ins Bett hauen können. Doch stattdessen hat er noch einen Streifzug durchs Nachtleben gemacht. StraÃenstrich, Drogenstrich und zwei Clubs. Er hat seine Fotos gezeigt und sein Sprüchlein aufgesagt, aber ebenso gut hätte er das in einem ausverkauften FuÃballstadion tun können oder an einem Samstagnachmittag in der Kölner FuÃgängerzone, blind darauf hoffend, dort zwischen H&M, Kaufhof und Burger King zufällig auf eine shoppende Bekannte des Komamädchens zu treffen.
Im Besprechungsraum brennt schon Licht, und während Manni zum obligatorischen Morgenauftrieb über den Flur des KK 11 trabt, klingt ihm Millstätts Stimme entgegen.
»Pressekrämer findet es sehr bedauerlich, dass du nicht kooperierst.«
»Sehe ich so aus, als passte ich in ein Hochglanzmagazin?« Die zweite Sprecherin ist ganz ohne Zweifel Judith Krieger. Unwillkürlich muss Manni grinsen, als er sie erblickt, denn sie trägt wieder dieses knallfarbige 70 er-Jahre-Ungetüm.
»Du könntest dich doch etwas dezenter kleiden, wie neulich bei der Pressekonferenz.« Der KK-11-Leiter räuspert sich, zu spät erkennend, dass er der Krieger auf den Leim gegangen ist.
Sie lächelt liebenswürdig, zupft ein paar Wollflusen vonihrem Pulli. »Mir war bislang nicht klar, dass das zu meinen Pflichten gehört.«
Millstätt seufzt. »Nun ja, natürlich bist du nicht zu einem Interview verpflichtet, aber der Stern ist nicht irgendein Käseblatt, und dieser Journalist will nun mal eine Frau â¦Â«
Sie lässt den Kommissariatschef ins Leere laufen, pflückt einfach weiter Fusseln von ihrem Ãrmel. Diesen Moment nutzt Manni dazu, sich bemerkbar zu machen, bevor sie ihn noch des unerlaubten Lauschens bezichtigen. Kurz darauf trampeln auch die anderen Kollegen in den Besprechungsraum, inklusive des ob seiner Ernennung zum stellvertretenden Teamleiter vom Krankenlager auferstandenen Boxerzüchters Holger Kühn. Ohne Federlesens hievt er seinen feisten Hintern auf den Stuhl neben Millstätt, ein »Moin, Moin, Kollegen« grunzend, und das ist der Beginn einer weiteren Konferenz, in der sie mit Ideen hin und her jonglieren und dennoch keinen erwähnenswerten Erkenntniszuwachs verzeichnen können.
Manni zerbeiÃt ein Fishermanâs, versucht sich zu entspannen, auch wenn ihn das Geschwafel der Kollegen fürchterlich nervt. Er will nicht rumlabern, er will an die Arbeit. Er will das Komamädchen beim Namen nennen können und denjenigen, der sie im Keller den Flammen überlieÃ, zur Rechenschaft ziehen. Er hat eine Weile überlegt, ob er das ganz individuelle Tagesprogramm, das er sich verordnet hat, beim Morgenmeeting zur Diskussion stellen soll. Letztendlich hat er sich dagegen entschieden, weil er keinerlei Lust verspürt, sich auslachen oder zurückpfeifen zu lassen. Vielleicht sollte ich wenigstens die Krieger einweihen, sinniert er, während sie alle zurück in ihre Büros trotten. Doch die Aussicht auf eine weitere Grundsatzdiskussion über die Ungerechtigkeiten dieser Welt macht diese Option nicht wirklich attraktiv.
Eine Stunde später sitzt Manni mit einer groÃen, kalten Cola in der hintersten Ecke eines Internetcafés und öffnet die erste der zahlreichen Online-Adressen, die Google als Ergebnis der Suchbegriffe »Nutte + Köln« ausspuckt. Er klickt sich durch dieFotos diverser Bordelle und Voyeurseiten und erkennt schnell, dass die Chance, hier das
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