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Nacht ohne Schatten

Nacht ohne Schatten

Titel: Nacht ohne Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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bemüht, die Verwünschungen des Vaters verstummen zu lassen. Es war nicht Treulosigkeit, die ihn so wüten ließ, erkennt sie plötzlich. Was ihn so rasend machte, war die Sehnsucht nach Freiheit, die auch seine härtesten Schläge der Mutter nicht austreiben konnten.
    Der Vaginalabstrich! Die Erinnerung an das Detail, das sie so lange nicht greifen konnte, kommt ganz plötzlich, aus heiterem Himmel. Ekaterina hastet zurück in ihr Arbeitszimmer und ruft die Krankenakte der Komapatientin auf. Montag sollte der Abstrich ins Kliniklabor geschickt werden. Dienstag sollte das Ergebnis vorliegen. Jetzt ist es Mittwoch. Ekaterina wählt die Nummer des Krankenhauses. Sie hat Glück, die Oberärztin, die sie schon kennt, hat Nachtdienst, und nach einigem Hin und Her wird Ekaterina zu ihr durchgestellt.
    Â»Es gibt nichts Neues, der Zustand der Komapatientin ist unverändert«, sagt sie, sobald Ekaterina ihren Namen nennt.
    Â»Der Vaginalabstrich«, sagt Ekaterina, nachdem sie ein paar Höflichkeiten ausgetauscht haben.
    Â»Ja, da war etwas.«
    Blättern ist durchs Telefon zu hören, gedämpftes Gemurmel, das Klappern einer Computertastatur. Dann wieder die helle Stimme der Oberärztin.
    Â»So, da hab ich’s. Im Abstrich war eine erhöhte Anzahl weißer Blutkörperchen – das Labor hat auf Chlamydien getippt, die jedoch so nicht nachweisbar waren. Deshalb hat ein Kollege noch einen
RNA
-Nachweis mittels
PCR
beauftragt.«
    Â»PCR«,
echot Ekaterina.
    Die Oberärztin lacht. »Ein Amplifikationsverfahren, bei dem die typischen Eiweißkörper des Erregers isoliert und im Labor künstlich vermehrt werden, so dass ein eindeutiger Befund zustande kommt.«
    Â»Und?«
    Â»Unser Mädchen ist ohne Zweifel mit
chlamydia trachomatis
infiziert.«
    Â»Eine Geschlechtskrankheit«, sagt Ekaterina nachdenklich.
    Â»Die gefährlich ist und dennoch oft unbemerkt bleibt, weil viele Menschen zunächst vollkommen beschwerdefrei sind.«
    Â»Man kann erblinden.«
    Â»Chlamydien können auch eine Lungenentzündung auslösen. Es gibt verschiedene Erregerarten. Sterilität als Folge einer nicht behandelten Infektion mit
chlamydia trachomatis
ist in Deutschland die häufigste Ursache ungewollter Kinderlosigkeit.«
    Â»Wie hoch ist die Ansteckungsgefahr?«
    Â»Hoch. Sehr hoch. Selbst Oralsex kann den Erreger übertragen.«
    Oralsex. Ekaterina betrachtet die Polizeifotos des Mädchens, nachdem sie sich von der Oberärztin verabschiedet hat. Sie stellt sich vor, wie sie vor den Männern auf dem Boden kniete, ihre ungewaschenen Geschlechtsteile zwischen die Lippen nahm. Wie sie wahrscheinlich sogar froh war, wenn sie irgendwann doch lieber normalen Geschlechtsverkehr mit ihr haben wollten. Wie sie kein Recht hatte, darauf zu bestehen, dass die Männer ein Kondom benutzten oder vorsichtiger in sie stießen oder aufhörten, überhaupt kein Recht. Ekaterina ruft ihr medizinisches Online-Lexikon auf, froh, dass die Fachartikel ihr Distanz zu den Bildern verschaffen. Die Oberärztin hat recht, Chlamydien sind tatsächlich weit verbreitet.
    Zwischen drei und zehn Prozent der Bevölkerung in deutschen Großstädten sind damit infiziert.
    Ekaterina schaltet den Computer aus und packt ihre Sachen. Sie verschließt den Aktenschrank und löscht das Licht. Sie hat nie den richtigen Mann gefunden, um die Freuden der Sexualität kennenzulernen, von denen alle so schwärmen, vielleicht hat sie es auch nicht wirklich versucht. Jetzt hat sie manchmal das Gefühl, es ist zu spät. Sie zieht ihren Mantel an und setzt die Pelzmütze auf. Tritt in die grünlich schimmernde Notbeleuchtung auf dem Flur.
    Unten im Leichenkeller ist es kalt und ruhig. Es ist eine Gewohnheit geworden, den Tag hier zu beschließen. Ekaterina öffnet die Stahllade mit dem erstochenen S-Bahn-Fahrer und betrachtet sein Gesicht. Sie versucht sich vorzustellen, wie das Mädchen vor ihm kniete. War es so? Sie überwindet ihren Ekel, zieht auch die Metallbahre mit dem verkohlten Luigi Baldi ein Stück aus dem Kühlfach. Man kann Chlamydien nicht nur durch einen Abstrich nachweisen. Auch eine Gewebeprobe oder Blut können unter Umständen ausreichen. Gleich morgen früh wird sie die Pathologen des Rechtsmedizinischen Instituts anweisen, entsprechendes Material ans Labor zu geben, und wenn das Ergebnis positiv sein sollte, ist das

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