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Nacht ohne Schatten

Nacht ohne Schatten

Titel: Nacht ohne Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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anschließt: Was hatte er sehen wollen, wenn es so war? Was, oder wen? Judith entscheidet sich um, fährt nicht nach Ehrenfeld, sondern ein weiteres Mal zu der S-Bahn-Haltestelle Gewerbepark. Die Künstlerin Nada ist exzentrisch. Schön. Mit Preisen und Stipendien überhäuft. Warum ist sie seit den Morden verschwunden? Gibt es etwas in ihrem Leben, das Berger gesehen hat und nicht sehen durfte und das sie auch niemand anderem preisgeben will?
    Der Haupteingang der Kunstfabrik ist offen, der Geruch nach Farbe und Leim schon beinahe vertraut. Jetzt, mitten an einem Wochentag, wird in vielen Ateliers gearbeitet, nur die Türen der Werkräume von Nada und Thea Markus sind verschlossen. Judith schlendert durch die Gänge der alten Fabrik, fasziniert von der Vielfalt an Materialien. Glas, Metall, Holz, Stein, Kunststoffe, Farben, aus denen Skulpturen, Akte, Landschaften entstehen. Sie fragt nach Nada, deren Aufenthaltsort immer noch niemand kennen will, versucht die Atmosphäre zu ergründen, das, was sich unter der bunten Oberfläche des kreativen Miteinanders verbirgt. Sie versucht sich vorzustellen, worin die Verbindung zu einem S-Bahn-Fahrer und einem Pizzabäcker bestehen könnte, die unter Kunst allenfalls die Darstellung nackter Weiblichkeit verstehen. Am Ende des unteren Ganges gelangt sie in eine Lagerhalle, die mehrere Künstler für die abendliche Benefizgala vorbereiten. Wieder fragt sie nach Nada, wieder versichern alle, dass die Performancekünstlerin am Abend auftauchen wird.
    Holzfeuerrauch empfängt Judith, als sie die Tür eines Nebengebäudes aufstößt. Wärme, die nicht darüber hinwegzutäuschen vermag, dass dieser Werkstattraum ausgekühlt und zugig ist. Steif wie eine Skulptur sitzt die Bildhauerin Thea Markus in einem dreckigen Plastikstuhl vor einem gusseisernen Ofen. Sie sieht müde aus. Gealtert. Nährt das Feuer mit bleichem Geäst.
    Â»Es war eine Illusion«, sagt sie, als sie Judith bemerkt.
    Â»Die Flügelmodelle.« Judith zieht einen leeren Bierkasten heran, setzt sich darauf. »Wie schade.«
    Â»Kunst, die nur imitiert, statt etwas Neues zu schaffen, ist nichts wert.«
    Â»Ich verstehe nicht viel davon. Aber ich fand Ihre Flügel schön.«
    Â»Schön.« Die Bildhauerin starrt in die Flammen. »Vielleicht ist genau das mein Problem. Ich versuche nämlich etwas zu erschaffen, das nicht in erster Linie gefallen oder auffallen will, sondern echt ist, nicht reproduzierbar, einzigartig.«
    Â»Und Ihre Flügel waren das nicht.«
    Thea Markus lacht bitter. »Viel zu gegenständlich. Schon tausendmal da gewesen, in der einen oder anderen Form.«
    Â»Sie haben hohe Ansprüche.«
    Â»Ein Kunstwerk muss eine neue Perspektive eröffnen, nur dann ist es gut.«
    Â»Und jetzt?« Judith zeigt auf das Feuer. »Ich meine: danach?«
    Â»Ich höre auf. Irgendwie wird es auch ohne Kunst weitergehen.« Die Bildhauerin zieht eine Grimasse. »Egal. Sie sind wohl kaum hier, um mich jammern zu hören.«
    Sie erhebt sich schwerfällig, stochert mit einem langen Metallmeißel in der Glut, bevor sie weitere Treibholzstücke in den Ofen wirft.
    Â»Nada«, sagt Judith. »Das heißt Nichts, oder? Warum hat Ihre Ateliernachbarin sich diesen Namen gegeben?«
    Â»Sie sagt, auf Kroatisch heißt Nada Hoffnung.« Thea Markus setzt sich wieder auf den Stuhl, ohne ihr kaputtes Knie zu belasten. »So etwas gefällt ihr, das Spiel mit zwei Bedeutungen. Cleveres Marketing sagt man wohl dazu.«
    Â»Wird Nada heute Abend zur Gala kommen?«
    Â»Es haben sich jede Menge Galeristen, Kulturförderer und Presseleute angesagt.« An der Schläfe der Bildhauerin pocht eine Ader. »Natürlich wird Nada da sein, und sie wird umwerfend sein.«
    Â»Sie mögen Nada nicht.«
    Â»Haben Sie Zigaretten bei sich?«
    Judith reicht Thea Markus ihr Tabakpäckchen. Sie verbirgt etwas, denkt sie. Hinter ihrem Schweigen gibt es Antworten, doch sie hütet sie gut. Sie überlegt, ob sie ihre Strategie ändern soll, Thea Markus härter befragen und in die Enge treiben. Aber solange sie noch nicht weiß, was genau sie herausfinden will, hat das wenig Sinn, verbaut nur die Chancen für eine eventuell später notwendige Vernehmung. Die Künstlerin dreht sich eine hauchdünne Zigarette, entzündet sie mit dem glimmenden Ende eines Astes. »Ich habe eigentlich

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