Nacht ohne Schatten
Apartmenthauses ist leer. Die wenigen Passanten auf der AlteburgerstraÃe beachten ihn nicht. Ein junger Typ mit Wollmütze und Skaterhose rempelt ihn beinahe an, vollkommen in die Musik aus seinem MP3-Player versunken, zu dessen Rhythmen er von Zeit zu Zeit mit dem Kopf wackelt, als stünde er unter Drogen.
Manni angelt die Adressliste, die er im Internetcafé erstellt hat, aus seiner Hosentasche. Keine der bislang von ihm befragten Russinnen vermochte ihm etwas über das Komamädchenoder Wolfgang Berger zu sagen. Zwei Namen musste er streichen, weil die dürftigen Angaben aus den Freierforen nicht stimmten oder veraltet waren. Im Amor arbeiten ohne jeden Zweifel First-Class-Nutten, das ist die einzige Erkenntnis der letzten Stunden. Sehr jung, hübsch, zumeist noch nicht drogen- oder alkoholabhängig. Natürlich gibt es auch jenseits des GroÃbordells Edelnutten. Doch auch im Internetzeitalter ist das Geschäft so schmutzig und hart wie eh und je und verbraucht die Mädchen sehr schnell. Drogenstrich, StraÃenstrich oder ein versifftes Hinterzimmer â die Skala der Unappetitlichkeiten ist nach unten offen, und das Erstaunliche ist, dass es tatsächlich Typen gibt, denen alles egal ist, solange sie ihr bestes Stück für wenig Geld in irgendeine weibliche Körperöffnung schieben können.
Jemand beobachtet mich. Wieder dieses Gefühl, stärker diesmal, wie in der Nacht auf den Gleisen. Manni geht noch ein paar Schritte, bückt sich dann und fummelt an seinen Schnürsenkeln herum, was ihm Gelegenheit gibt, unauffällig die StraÃe zu checken. Er ist jetzt überwach, nimmt jede Bewegung in seiner Umgebung wahr: Passanten. Autos. Sogar einen StraÃenköter. Duckt sich da drüben jemand an die Fassade? Manni sprintet über die StraÃe, dann in eine Einfahrt mit offenem Tor. Der Hinterhof ist leer. Und selbst wenn da gerade jemand reingegangen ist, hat das mit 99,9 -prozentiger Sicherheit nichts mit Manni zu tun. Manni kehrt um, erreicht seinen Wagen, manövriert ihn aus der Parklücke und in den Verkehr. Nach ein paar Minuten ist er davon überzeugt, dass ihm kein Auto folgt. Hat er sich das alles nur eingebildet, oder ist er dem Täter schon zu nahe gekommen, ohne es zu merken? Kriegt er jetzt Halluzinationen? Der S-Bahn-Fahrer Wolfgang Berger hat seinen Mörder nicht kommen gehört. Kein schöner Gedanke, wirklich nicht.
Inzwischen ist es nach zwölf, Zeit für die Mittagspause, die Manni sich genehmigen will. Er parkt vor dem Trainingscenter, schlieÃt Klamotten, Walther und Handy in den Spind undmacht zum Aufwärmen je hundert Sit-ups und Liegestützen. Danach schlägt er fünf Minuten lang Oizukis gegen den Sandsack, wechselt zur FuÃarbeit mit Mae-Geris und Yoko-Geris und vollendet das Schnelltraining mit einem fünfzehnminütigen Sprint auf dem Laufband. Er duscht ausgiebig, benutzt Deo und Aftershave und fährt sich mit den Fingern durchs Haar, das er seit ein paar Wochen wieder kürzer trägt. Das muss reichen. Er hat es den ganzen Vormittag über vermieden, an das bevorstehende Mittagessen mit Sonja zu denken, doch jetzt, während er zu ihrem Massagesalon fährt, kann er gar nicht mehr damit aufhören. Er ist plötzlich nervös, und diese Nervosität steigert sich noch, als nicht Sonja selbst, sondern eine kleine Dunkelhaarige ihm die Tür öffnet und ihn zum Warten auf ein mit Goldstoff bezogenes Sofa dirigiert.
Zeit vergeht, das Licht ist gedämpft. Von irgendwoher klingt Meditationsmusik. Die Wände sind hell, auf dem Boden ist dunkles Holz verlegt. Es duftet nach etwas, das Manni nicht näher bestimmen kann. Auf einmal ist er sehr froh, dass er diesmal einen Blumenstrauà in den Händen hält: weiÃe Hyazinthen mit trockenem Geäst und Moos, eine Empfehlung der Blumenverkäuferin. Welten trennen dieses Gebinde von den in Farn erstickenden Nelken, die Mannis Vater der Mutter ab und an überreichte, wenn er wieder einmal ausgerastet war. Manni steht auf, betrachtet sich in einem antiken Spiegel, blättert dann neugierig durch die Prospekte, die auf dem Empfangstisch ausliegen. Ein steinerner Buddha scheint seine Bewegungen zu beobachten. Ein aufgeschlagenes englischsprachiges Taschenbuch liegt vor ihm auf dem Tisch: Emily Brontë,
Wuthering Heights.
»Hallo, Herr Oberkommissar.«
Sie sieht umwerfend aus und ist â absolut zum Ambiente
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