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Nacht ohne Schatten

Nacht ohne Schatten

Titel: Nacht ohne Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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Vielleicht war sie hinüber ins Wohnzimmer gegangen, während sie allein mit den Toten war. Vielleicht waren sie ihr in einem bösen Traum erschienen.
    Ekaterina steht auf, schwerfällig. Das leise Brummen ihres Computers ist das einzige Geräusch in ihrem Arbeitszimmer, die Reflexion des Bildschirmschoners die einzige Lichtquelle. Sie tritt ans Fenster, sieht hinunter auf den Friedhof. Sie weiß bis heute nicht, ob sie allein ins Wohnzimmer geschlichen war oder nicht. Weiß nur, dass sie nie mehr an diesen Februar auf der Insel denken wollte und es jetzt trotzdem tut.
    * * *
    Â»Wir haben den Rucksack!« Hell und ein wenig außer Atem dringt Judith Kriegers Stimme in Mannis Ohr.
    Er packt sein Handy fester, bemüht, es vom Hintergrundgedudeleines weiteren Puffs abzuschirmen, in dem er soeben vergebens nach dem Komamädchen herumgefragt hat.
    Â»Bergers Rucksack?«, vergewissert er sich.
    Â»Inklusive Brieftasche. Am besten, du kommst her.«
    Die Adresse, die sie ihm nennt, bezeichnet ein heruntergekommenes Apartmenthaus in der Oskar-Jäger-Straße. Früher war es vielleicht mal eine Studentenabsteige gewesen, jetzt scheint Hartz-IV-Apathie die Gesichter der Bewohner zu zeichnen, die sich aus den Fenstern lehnen und die Polizeiautos begaffen.
    Â»Jörg Boll.« Die Krieger läuft Manni im Flur des zweiten Stocks entgegen und deutet mit dem Daumen auf einen blässlichen Mann, der zwischen zwei Uniformierten an der Wand lehnt und die geöffnete Tür seines Apartments nicht aus den Augen lässt. Er trägt Cord-Hausschlappen und ein violettschwarzes Ballonseiden-Ensemble, wie es jedes Frühjahr bei Aldi und Lidl vorzugsweise von Menschen erstanden wird, die unter Sport die Bedienung ihres Fernsehers verstehen.
    Die Krieger senkt die Stimme. »Boll hat Gregor Schmidt hin und wieder in seiner Wohnung übernachten und duschen lassen.«
    Â»Wie seid ihr auf ihn gestoßen?«
    Â»Er hat uns angerufen, wahrscheinlich wurde ihm unsere Fragerei in Ehrenfeld zu heiß.«
    Â»Schmidts Komplize?«
    Judith Krieger schüttelt den Kopf. »Eher jemand, der sich jede noch so kleine Gefälligkeit bezahlen lässt und sehr genau weiß, wann es Zeit ist auszusteigen.«
    Â»Sicher?«
    Â»Ziemlich. Er gibt Schmidt ein Alibi für die Brandnacht. Angeblich sind sie hier gewesen, haben zusammen einen Boxkampf geguckt. Klitschko. Kann natürlich gelogen sein, aber das glaube ich nicht. Die Kollegen sind im Haus unterwegs und befragen die Nachbarn. Was das Fernsehprogramm angeht, ist die Angabe mit dem Boxkampf korrekt.«
    Manni betritt die Wohnung. Bett, Schrank, Fernseher, Tisch und zwei Stühle. Ein Sessel, der wie alles hier schon bessere Zeiten gesehen hat. In der Zimmerecke, die am weitesten von den Fenstern entfernt ist, liegt eine Matratze mit einem Bundeswehrschlafsack auf dem Boden. Die Kriminaltechnikerin Karin kniet davor und tütet soeben einen Rucksack mit Bahn-Emblem ein.
    Â»Kein Bargeld«, sagt sie statt einer Begrüßung. »Kein Handy. War ja auch klar.«
    Manni hockt sich neben sie. »Aber es sind Bergers Sachen?«
    Sie reicht ihm Latexhandschuhe, dann eine Brieftasche, die ganz ohne Zweifel dem ermordeten S-Bahn-Fahrer gehört. Manni blättert durch die Fächer. Personalausweis, Führerschein, Dienstausweis, EC-Karte. Ein paar knittrige Kassenbons aus Supermärkten. Der Mitgliedsausweis einer Video- thek.
    Â»Was für Filme er auslieh, wissen wir ja«, ätzt die Krieger von hinten.
    Â»Winnetou eins bis drei.«
    Sie geht neben ihm in die Hocke. »Und Harry Potter. Ganz bestimmt.«
    Er mustert sie von der Seite. Ihr dunkler Lippenstift bedarf der Auffrischung, ihre Mundwinkel zucken, sie wirkt keineswegs so, als ob sie Millstätts Entscheidung im Nachhinein doch noch deprimiert.
    Â»Bist du weitergekommen?« Sie sieht ihm in die Augen, nun wieder ernst.
    Â»Null.« Manni fischt einen Metallchip für Einkaufswagen und ein Kaugummipapier aus der Brieftasche, schiebt sie dann wieder zurück. Nach dem Mittagessen mit Sonja hat er in einem Internetcafé überprüft, ob Post für sein Alter Ego Hardy L. eingetroffen ist. Eine Einladung zum Gangbang war eingetrudelt, ausgerechnet ins saubere Amor. Er hat sie ausgedruckt und abgespeichert, und dann hat er die letzten beiden russischenNutten befragt und zwischendurch das Komamädchen besucht, das immer noch zu schwach ist, um ohne

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