Nacht über Algier
entdeckt hat. Dieselben, die gestern noch vor ihm zu Kreuze gekrochen sind, wollen ihm heute ans Leder. Das hat ihn sehr getroffen.«
»Ist er die ganze Nacht in seinem Büro geblieben?«
»Ich habe ihn schließlich dazu überredet, in den Salon zu gehen. Wir plauderten über die Zeit, die wir gemeinsam verbracht haben. Er wollte wissen, ob ich ihm irgend etwas nachtragen würde, ob er sich mir gegenüber unkorrekt verhalten oder mich auf irgendeine Weise verletzt habe. Ich antwortete ihm, daß ich diejenige sei, die seine Freundlichkeit und seine Großzügigkeit eine Zeitlang nicht richtig zu schätzen gewußt habe. Er habe mich so sehr verwöhnt, daß das beinahe unser Glück zerstört hätte. Das war kein Theater, Kommissar. Er war ein feiner Mensch, voller Mitgefühl und Empfindsamkeit. Die Leute, die ihn in den Selbstmord getrieben haben, sind niederträchtige Hunde, ihre Flöhe werden sie schneller zernagen als ihre Gewissensbisse.«
Der Salon ist aufgeräumt wie für eine Feierlichkeit. Keine Spur von Gewalt, nichts, was ins Auge springt.
»Warum haben Sie ausgerechnet mich angerufen?«
Sie breitet die Arme aus.
»Ich war Hajs Geliebte, nicht seine Sekretärin. Ich habe keinen Zugang zu seinem Terminkalender. Seine Freunde waren nicht meine, und er hatte mir verboten, ans Telefon zu gehen, wenn es klingelte. Er war verschwiegen, nicht eifersüchtig. Als ich ihn in seinem Blut liegen sah, bin ich in Panik ausgebrochen. Wen sollte ich anrufen? Ich kenne niemanden von seinen Angehörigen. Also fiel mir sein letztes Telefongespräch ein. Das war mit Ihnen. Ich hab auf die Wahlwiederholungstaste gedrückt, und Sie waren dran.«
»Soll das also heißen, daß niemand etwas von dem Drama weiß?«
»Niemand.«
»Man muß seine Leute in Kenntnis setzen.«
»Tun Sie, was Ihre Pflicht ist, Kommissar.«
»Wie lange sind Sie beide im Salon geblieben?«
»Ich weiß nicht. Bis Mitternacht vielleicht.«
»Und dann .?«
»Wir sind in unser Schlafzimmer gegangen. Mir war klar, daß er etwas Schreckliches ausbrütete.«
»Wieso?«
»Seine Ruhe machte mich stutzig. Das paßte nicht zu ihm. Normalerweise polterte er bei jeder Kleinigkeit los. Seine Schweigsamkeit erschreckte mich. Ich habe das Schlimmste befürchtet.«
»Sie hatten also eine Vorahnung, daß er sich umbringen würde?«
»Entweder sich oder uns beide. Ich kenne ihn sehr gut. Ich habe ihn noch nie so erlebt wie gestern. Das war beängstigend, sehr beängstigend. Er hatte sich auf dem Bett ausgestreckt. Ich habe Schlaftabletten in sein Mineralwasser getan und bin wach geblieben, bis er weggedämmert war. Alles Weitere habe ich Ihnen erzählt. Der Schuß hat mich aufgeweckt.«
»Sie waren also auch eingeschlafen?«
»Na und ob, nach einem solchen Abend!«
»Und zwischendurch ist niemand dagewesen?«
»Niemand.«
»Sie haben es vielleicht nicht gehört.«
»Unmöglich. Wenn jemand zu uns gewollt hätte, wäre ich durch die Klingel aufgeschreckt worden. Die Gegensprechanlage befindet sich an meinem Nachttisch.«
»Aber wer hat ihm denn die Zeitung gebracht, zu einer Zeit, wo die Kioske noch geschlossen sind?«
Nedjma ist sichtlich verwirrt. Ihre Gelassenheit schien mir ohnehin zu übertrieben für eine Geliebte, die gerade ihren Schutzheiligen verloren hat. Sie zieht ihre reizenden Augenbrauen hoch, zerbricht sich den Kopf, hat aber so schnell keine passende Antwort parat. Verstört blickt sie zu mir auf.
»Das stimmt«, gibt sie zu. »Vielleicht ist er rausgegangen, während ich geschlafen habe.«
»Die Zeitungskioske machen erst in einer halben Stunde auf.«
»Manchmal, wenn es sich um wichtige Nachrichten handelte, rief er die Druckerei an. Er wußte, daß die Presse die Fernsehnachrichten übernehmen würde .«
»Da haut was nicht hin. Wenn er den Drucker angerufen hätte, wären Sie auf ihn gestoßen, als Sie die Wahlwiederholungstaste gedrückt haben.«
»Dann muß sie ihm heute morgen jemand gebracht haben«, räumt Nedjma verlegen ein.
Ich bitte sie, mir das Zimmer zu zeigen, wo sie die Nacht verbracht haben. Sie fügt sich, mit den Gedanken ganz woanders. Die Geschichte mit der Zeitung scheint ihr nicht aus dem Kopf zu gehen. Ich folge ihr auf einen Flur, dessen Wände über und über mit revolutionären Fresken bedeckt sind, die die Tapferkeit unserer Freiheitskämpfer rühmen, Malereien ohne wirkliches Talent, aber patriotisch genug, um Respekt einzuflößen.
Das Zimmer ist riesig, vor den vier Terrassentüren hängen imposante,
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