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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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ist nicht arm, er ist anständig.«
    »Das kommt aufs gleiche raus«, weist ihn sein älterer Bruder zurecht.
    Mina hebt den Kopf, um die Gören zur Ordnung zu rufen.
    Ich kehre an meinen Platz zurück und mache mich wieder über meinen Geflügelschenkel her, wobei ich mir den Kopf zerbreche, was hinter dem seltsamen Anruf wohl stecken mag.
     
    Am nächsten Abend ziehe ich mein am wenigsten zerschlissenes Hemd an, meinen einzigen Anzug - den ich nur hervorhole, wenn höhere Gewalt vorliegt -, meinen Schlips mit dem Markenschildchen eines britischen Clubs, den ich bei einem Trödler in Bab El-Oued gekauft habe, und stehe Punkt acht vor einem der gelecktesten Restaurants in ganz Algier. Der Mann in der Empfangshalle erkennt keinen Zusammenhang zwischen meinen abgewetzten Slippern und meiner Flanellhose, durchforstet zweimal seine Liste nach meinem Namen und hätte beinahe meine Papiere verlangt. Er übergibt mich schließlich einem arroganten Pinguin, der die Gäste platziert. So wie man einen Kompromiß eingeht, wenn alle Trümpfe ausgespielt sind, läßt er sich herab, sich meiner anzunehmen. Mit einer beflissenen Geste fordert er mich auf, ihm zu folgen. Mein Tisch befindet sich am Ende des Saals, in einer Nische mit Satinvorhängen an den Seiten und einem großen Gemälde an der Rückwand, von wo aus man gut überblicken kann, wer das Etablissement betritt und wer es verläßt. In gestelztem Französisch bittet mich der Lakai, ich möge die Güte haben, ihm zu gestatten, mir die Jacke abnehmen zu dürfen. Mit einem betretenen Blick in Richtung meiner Nachbarn - wie um sich zu entschuldigen, daß er ihre Kreise stört, indem er ihnen einen solchen Bauerntölpel vor die Nase setzt - entfernt er sich, ohne mir einen Stuhl zurechtzurücken. Meine unmittelbaren Tischnachbarn, zwei schweigsame Geldsäcke, flankiert von einer in Seide gehüllten und mit Edelsteinen behängten dicken Kuh, starren mich wegen meines unmöglichen Aufzugs, bei dem nicht ein Stück zum anderen paßt, entgeistert an. Ich schicke ihnen ein Raubtierlächeln hinüber und nehme Platz. Eine stark geschminkte Kellnerin, Busen- und Hinternumfang vom gleichen Kaliber, legt mir eine Speisekarte hin, auf der die erstaunlichsten Delikatessen verzeichnet sind, verpackt in höchst geschraubte Formulierungen, die den Appetit anregen und die Sinne erfreuen sollen: Lammfilet im Blätterteig an Thymianjus, Entenleberpastete mit geräucherter Entenbrust und andere erlesene Schweinereien, die mich daran erinnern, wie sehr ich in puncto Emanzipation hinterherhinke. Da ich die Karte beim besten Willen nicht selbständig entziffern kann, schlage ich der Bedienung vor, auf meinen Gastgeber zu warten.
    »Und als Aperitif?« bedrängt sie mich.
    »Was meinen Sie?«
    »Ein Gläschen Champagner?«
    »Ach nein, ich bin praktizierender Muslim.«
    »Ein bißchen Wasser?«
    »Ja, gern.«
    »Mit oder ohne Kohlensäure?« Warum muß sie mich so belästigen?
    »Äh, mit Kohlensäure«, tippe ich aufs Geratewohl. »Mouzai'a oder Perrier?«
    »Mademoiselle«, flehe ich sie an, mehr und mehr genervt von den unverhohlen aufdringlichen Blicken der Tischnachbarn, »meine Zunge ist von dem miesen Kantinenfraß dermaßen abgestumpft, daß sie Marzipan nicht mehr von Knetmasse unterscheiden kann. Kein Grund, sich aufzuspielen, klar?«
    Ihr Lächeln ist verschwunden, sie bringt keinen Ton mehr hervor. Sie nimmt mir die Karte weg und überläßt mich meinem Schicksal.
    Ungefähr eine Viertelstunde vergeht so im Geklapper der Gabeln und im sanften Rauschen der Vorhänge. Es herrscht eine von gedämpftem Stimmengewirr erfüllte, heitere Atmospäre, ab und zu durchbrochen vom Gelächter junger Sirenen auf der Suche nach einem Odysseus, den man verführen könnte. Da die feine Gesellschaft von mir und meinem Verdruß nichts wissen will und mein geheimnisvoller Gastgeber auf sich warten läßt, wird mir die Zeit allmählich lang. Ich habe das Salzgebäck und die weiß der Teufel womit belegten Butterschnittchen geknabbert, die einem auf der Zunge zergehen, noch ehe sie ihr Geheimnis preisgegeben haben; aber niemand läßt sich blicken. Da eilt plötzlich der Pinguin herbei, um ein Traumpaar, ganz offensichtlich Stammgäste, in Empfang zu nehmen. Beinahe hätte ich mich an einem Brotkrümel verschluckt. Ein paar Köpfe drehen sich ehrfurchtsvoll zu dem Pärchen um: Er ist groß, verführerisch und respekteinflößend. Seine Begleitung trägt ein phantastisches Kostüm und strahlt wie tausend

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