Nacht über Algier
Fall, wonach der Mensch vom Affen abstammt. Er, Haj Thobane, ist geradewegs von seinem Baum heruntergeklettert. Zweitens: Um nicht vom sich ständig drehenden Wind hinweggefegt zu werden, ist er eifrig darauf bedacht, daß seine Taschen rund um die Uhr gefüllt sind. Und es ist bekannt, daß er seine Scheinchen nur zückt, wenn sie sich auf der Stelle in einen diensteifrigen Ganoven verwandeln lassen, so daß die ganze Stadt wie ein Schoßhündchen mit hängender Zunge angewackelt kommt, sobald er seinen Geldbeutel klingeln läßt. Ihm geht nichts durch die Lappen, er sackt die Menschen ebenso ein wie die Geschichte. Auch nach meiner Hand würde er greifen, doch ich weigere mich, sie ihm entgegenzustrecken. Obwohl mir Menschen dieser Art äußerst zuwider sind, bin ich erfreut, ihm hier im Büro des Direx zu begegnen, wo er es sich auf dem Sofa so gemütlich gemacht hat wie eine Königskobra auf dem Turban eines Fakirs. Denn selbst wenn seine rechte Hand auf krummen Wegen die fetten Gelder einstreicht, versteht es die linke bestens, sich wieder reinzuwaschen, was den Vorteil hat - alle revolutionären Prinzipien auf Eis gelegt -, daß wir bisweilen durch Annehmlichkeiten von der allgemeinen Niedergeschlagenheit abgelenkt werden.
Der Direx stellt mich vor: »Das ist unser Brahim.«
Haj Thobane lächelt mich gewinnend an. Da ich meine Brille auf der Schreibunterlage vergessen habe, läßt mich das so kalt wie eine Scheibe Wurst. Wie oft sind wir uns begegnet, Haj Thobane und ich? Fünfmal, zehnmal? Vielleicht noch öfter. Wegen jeder Lappalie kreuzt er bei uns auf, denn er ist eng befreundet mit dem Chef. Und jedesmal tut er so, als könne er sich nicht erinnern, mich überhaupt je gesehen zu haben. Verglichen mit dieser Sorte Geldhai ist unsereiner nur ein kleiner Fisch, aber das sollte man wohl nicht zu hoch bewerten.
Der Direx bietet mir einen Sessel an. Sein ehrerbietiges Gebaren läßt mich aufmerken. Ich nehme gegenüber dem Krösus Platz und kneife die Hinterbacken zusammen, wachsam wie eine Scheinheilige, die nicht glauben will, daß alle Gynäkologen impotent sind.
»Du siehst gut aus«, schmeichelt mir der Direx und setzt sich zu uns.
»Danke, Herr Direktor.«
»Würden Sie ihm fünfundfünfzig Jährchen geben, Haj?« Haj Thobane tut so, als ob er es nicht fassen könne. »Im Ernst?«
»Ich versichere Ihnen, daß unser Brahim vor knapp einer Woche seinen fünfundfünfzigsten Geburtstag gefeiert hat.«
Haj Thobane ist sprachlos. Ich für meinen Teil bleibe auf der Hut, mache das Spiel aber mit, um den Chef nicht vor den Kopf zu stoßen. Seitdem ich einen Antrag auf Beihilfe eingereicht habe, bemühe ich mich, sie auch zu verdienen.
»Und außerdem ist er Schriftsteller«, fügt der Direx noch hinzu.
»Das heißt?«
»Na, er schreibt Bücher.«
»Nicht möglich!«
»Aber ja, wenn ich es Ihnen doch sage. Er hatte sogar äußerst schmeichelhafte Kritiken in der Presse.«
Haj Thobanes Augen sind jetzt aufgerissen wie die Nüstern eines sich im Schlamm wälzenden Nilpferdes. Er treibt seine Bewunderung so weit, daß er aufsteht und mir die Hand schüttelt.
»Ein schreibender Bulle, wenn das nicht revolutionär ist!« ruft er aus.
»Apropos Revolution«, bemerkt der Direktor sehr richtig, »Si Brahim ist ein ehemaliger Mudjahid [ (arab.) der (die) den Heiligen Krieg führt (Plur.: Mudjaheddin); im allgemeinen bezeichnet der Ausdruck jemanden, der sich um diemilitärische Verteidigung oder Verbreitung des Islam bemüht].«
Da kann Haj Thobane gar nicht mehr an sich halten. Buchstäblich überwältigt, schließt er mich feierlich in seine Arme. Am liebsten würde er ein oder zwei Tränen vergießen, um mir zu zeigen, wie stolz und glücklich er ist, einen Freiheitskämpfer an sich zu drücken, einen richtigen Helden also, selbst wenn der es nicht so weit gebracht hat wie die Nutznießer von Allerheiligen [ Verweis auf den Ausbruch desBefreiungskrieges in der Nacht zum 1. November 1954]. Während er mir mit seinen dicken Pfoten begeistert auf den Rücken hämmert, versuche ich, seinen Überschwang nicht für bare Münze zu nehmen. Sicherlich habe ich mich auch schon mal von schönen Worten einlullen lassen, aber niemals in dem Maße, daß ich glauben würde, ein Milliardärs-Zaim vom Kaliber Haj Thobanes hielte mich einzig und allein in seinen Armen, um mich zu beglückwünschen. Außerdem bin ich fest davon überzeugt, daß er überlegt, wo er mich einordnen und ob er mich in seine Jacken- oder in
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