Nacht über Algier
Drinnen saßen zwei Kerle. Mehr konnte man nicht erkennen.«
»Ein weiterer Grund, so viele Informationen wie möglich über diesen Scheißpsychopathen einzuholen.«
»Ich habe mir eine Kopie seiner Akte beschaffen können. Damals haben die Käseblätter ihm den Spitznamen Dermato verpaßt.«
»War er denn Dermatologe?«
»Im buchstäblichen Sinn: Erst rückt er seinen Opfern auf die Pelle, dann macht er sie kalt und häutet sie wie Karnickel. Nicht etwa mit dem Messer, auch nicht mit einer Stahlbürste, nein, mit seinen Händen, mit nichts als seinen bloßen Händen! Abgesehen davon ist der Typ ein Rätsel. Keine Eltern, keine Angehörigen, nichts.«
»Er ist aber doch verurteilt worden, verdammt noch mal .«
»Man hat ganz offensichtlich schlampig gearbeitet. Als ob sich weder die Polizei noch die Justiz mit dieser Geschichte richtig befaßt hätten. Ein Mann liefert sich selbst aus, gesteht Mordtaten, die niemand überprüft. Er wird sofort vor Gericht gestellt. Zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt und eingesperrt. Und der Fall wandert zu den Akten. Damals waren die Kompetenzen noch nicht eindeutig festgelegt, aber das hier ist wirklich kaum zu begreifen. Die Akte enthält lediglich ein paar Blätter mit absolut nichtssagenden Vernehmungsprotokollen. Man hat sich nicht mal die Mühe gemacht, die tatsächliche Identität des Angeklagten herauszufinden.«
»Und das Haus?«
»Es gehört einem gewissen Khaled Bachir, einem reichen Viehhändler, der sich als Altruist ausgibt. Bevor der Namenlose dort eingezogen ist, diente es als Gästehaus für die Imame der Stadt. Sein Eigentümer hat es der Moschee zur Verfügung gestellt.«
Ich lehne mich in meinem Sessel zurück und versuche Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Ich frage mich, ob Professor Allouche nicht übertrieben hat. Mit einem Bleistift zeichne ich einen Kreis auf die Schreibunterlage, dann zwei winzige Kreise in den großen, schließlich zwei Halbkreise rechts und links des ersten Kreises; ich stelle fest, daß ich nicht weiterkomme, lege den Bleistift hin, verschränke die Finger unterm Kinn und fixiere den Inspektor.
»Was hältst du von der ganzen Geschichte, Serdj?«
»Ich weiß nicht, Kommissar.«
Ich breite die Arme aus, nehme meine Jacke vom Haken und suche schleunigst das Weite.
7
Zu Hause herrscht der allgemeine Stumpfsinn.
Mohammed hat sich schon vor Sonnenuntergang schlafen gelegt. Anscheinend ist er den ganzen Tag auf Achse gewesen, um eine annehmbare Stelle zu finden. Meine anderen Kinder zanken sich in ihrem Zimmer. Mina und Nadia sind hinter den klebrigen Kochdünsten verschwunden. Ich schlurfe lustlos zum Wohnzimmer, lasse mich aufs Sofa fallen und schnappe mir die Fernbedienung. Der Bildschirm meines alten Sonelec-Fernsehers braucht eine Ewigkeit, bis er aufleuchtet; er bringt eine langweilige Dokumentation über das Eisenhüttenkombinat von El-Hadjar, das Paradestück des algerischen Wegs zum Sozialismus, einzig und allein mit Kampfparolen und veruntreuten Geldern erbaut. Meine Kinder nehmen es mir übel, daß ich keine Parabolantenne anbringen will. Die ausländischen Kanäle sind in der Tat verlockend, aber die Obszönitäten, die die Sender serienweise frei Haus bieten, und die Nacktszenen, auf die sich die filmischen Einfälle beschränken, kann man sich unmöglich mit der ganzen Familie anschauen.
Mina kommt mit Kaffee und Kuchen. Sie bedient mich und setzt sich mir gegenüber auf einen abgewetzten Puff.
»Möchtest du, daß ich dir ein Bad mache?«
»Kommt denn Wasser aus der Leitung?«
»Nein, aber ich habe zwei Kanister für dich beiseite gestellt.«
»Dafür brauchen wir nicht unsere Trinkwasserreserve zu verschwenden. Außerdem habe ich letzte Woche geduscht.« Dann aber erkundige ich mich mißtrauisch:
»Warum willst du, daß ich bade? Meinst du, daß ich anfange zu riechen?«
Entrüstet schlägt sie sich mit der Hand gegen die Brust. »Brahim, wie kommst du denn darauf?«
Sie scheint aufrichtig zu sein.
»Was hältst du davon, wenn wir heute abend ausgehen?« schlage ich als Wiedergutmachung vor. »Wir fahren ans Meer, uns die Schiffe angucken, oder auf einen Schaufensterbummel in die Rue Larbi Ben M'hidi. Ich brauch einen Tapetenwechsel.«
»Nur wir beide?«
»Die Kinder sind groß genug, um allein klarzukommen. Wir bleiben ja nicht lange weg. Ich lade dich zu einem Merguez-Sandwich oder zu einer großen Portion Fruchteis bei >Ice Krim< ein.«
Mina nimmt meine Hände.
»Ich zieh
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