Nacht über Algier
die Kandare zu nehmen. Und indirekt wirst du durch den Skandal, den diese Geschichte auslöst, so oder so im Rampenlicht stehen. Ich erinnere dich daran, daß Haj Thobane einen langen Arm hat. Er ist ein großer Revolutionär.«
»Er kann mich mal mit seiner Revolution. Das ist eine Angelegenheit zwischen ihm und Lino. Ich will da nicht reingezogen werden.«
»Wie kannst du es wagen, so von einem unserer verdienstvollsten Mudjaheddin zu reden?«
»Er ist euer Mudjahid, nicht meiner. Für mich ist er nichts weiter als ein mieser Hochstapler, der stiehlt, wie er atmet, und nicht mehr Aufmerksamkeit verdient als ein Ziegenficker, der seinen Schwanz zwischen die Hauer eines Bocks gesteckt hat.«
»Oh!« ruft Hadi entrüstet aus.
Mit verkniffenem Gesicht weicht er bis zu seinem Mercedes zurück, starrt mich sekundenlang an, springt in seinen Schlitten und startet mit quietschenden Reifen.
»Gut so, du Arschloch«, murmle ich vor mich hin, »hau ab, und komm nicht noch einmal hierher die Luft verpesten.«
Mina hat sich schick gemacht. Sie hat das Kleid angezogen, das ich ihr neulich, vor drei Jahren, gekauft habe, hat ein bißchen Wimperntusche aufgelegt, um ihren verführerischen Blick zu zähmen, und einen Hauch Puder auf die Wangen. Sie ist unglaublich schön. Aber als sie meine Miene sieht, weiß sie, daß der Abend gelaufen ist. Stoisch zieht sie ihre Hochstimmung zurück wie andere ihre Klage und wendet sich zum Schlafzimmer, um ihre Schürze wieder umzubinden.
»Wohin gehst du?« frage ich sie.
»Mich umziehen.«
»Warum?«
»Sie haben dich schon wieder fertiggemacht ...«
»Ja, das haben sie, stimmt. Aber wir lassen uns doch nicht von solchen Flaschen die Laune verderben.«
Ich reiche ihr den Arm.
Sie zögert. Aber als ich wie eine aufgehende Sonne zu lächeln beginne, schlingt sie ihre Hand um meinen Ellbogen und folgt mir nach draußen. Heute abend werden Mina und ich einen draufmachen, bis zum Umfallen.
Ich treffe um 8 Uhr 15 im Büro ein. Lino ist schon da, die Ärmel seines Hemdes bis zu den Schultern hochgekrempelt, einen Bleistift in den Fingern. Er ist über einen Stoß unerledigter Akten gebeugt und offensichtlich sehr vertieft in seine Arbeit. Als er mich aufkreuzen sieht, blickt er vielsagend zur Wanduhr.
»Sie geht immer vor«, knurre ich.
Lino grinst höhnisch, macht sich wieder über seinen Papierkram her und tut so, als wäre ich Luft. Ich grinse meinerseits und schicke den Wachtposten einen Kaffee für mich holen.
Zwischen dem Lieutenant und mir setzt eine erste Beobachtungsrunde ein, dann eine zweite und dann eine dritte. Er weigert sich, den Blick von seinen Akten zu heben, und ich verbiete mir, den ersten Schritt zu tun. Als der Posten zurück ist und ich eine gute dunkle Zigarette mit einem Geschmack nach Katzenhaar geraucht habe, rufe ich Baya und bitte sie, mir gegenüber Platz zu nehmen. Sie gehorcht und schlägt ihren Terminkalender beim heutigen Datum auf.
»Es geht um eine Dienstanweisung«, teile ich ihr mit.
»Ich höre, Herr Kommissar.«
»Betrifft: Abwesenheit von Mitarbeitern .«
Der Schlag hat gesessen, Linos Tolle bebt. Aber er hat sich schnell wieder in der Gewalt und vertieft sich erneut in seine Blätter.
Ich diktiere der Sekretärin die Dienstanweisung, indem ich deutlich artikuliere und Wert darauf lege, die passenden Worte zu finden. Zufrieden mit dem Aufbau meiner kurzen, treffsicheren Sätze, den wohlgesetzten Kommas und den unmißverständlichen Ermahnungen, füge ich noch hinzu: »Ich möchte, daß diese Anweisung überall aufgehängt wird, auch auf den Toiletten. Daß mir niemand hinterher kommt und sagt, er habe nichts davon gewußt.«
Baya blickt flüchtig zu Lino hinüber; der tut desgleichen, um ihr zu signalisieren, daß er sich von mir nicht beeindrucken läßt und meiner Dienstanweisung ebensoviel Beachtung schenken wird wie einem Fetzen Klopapier.
Ich gebe Baya zu verstehen, daß mir ihre Anwesenheit lästig wird, sie zieht eine Schnute und steht auf, den Kalender an ihren Busen gepreßt.
Lino knallt absichtlich einen Ordner nach dem anderen auf den Tisch. Dabei erklärt er mir, daß die darin enthaltenen Streitfälle abgeschlossen seien. Bei dem Tempo, das er vorlegt, kann er mit dem Kopf nur woanders sein.
Gegen neun schiebt er die restlichen Akten weg und legt die Hände an die Schläfen. Zweimal streckt er die Hand nach dem Telefon aus, bevor er sie wieder zurückzieht. Er seufzt, hustet, kramt eine Zeitung hervor, versucht
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