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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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zugebracht?«
    Serdj ist betreten. Er reibt sich die Nase und quäkt:
    »Ich habe geglaubt, daß Sie sich schon etwas dabei gedacht haben, Monsieur.«
    »Du denkst zuviel, Inspektor. Für einen Bullen ist das gefährlich.«
    Der Kaffee schmeckt nach Spülwasser, aber er hilft mir, Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Der Wachtposten uns gegenüber hat sich in Luft aufgelöst. Plötzlich taucht eine Gruppe schemenhafter Gestalten aus dem Nichts auf, wie Mumien sind sie in Schleier von zweifelhaftem Weiß gewickelt. Es sind Frauen: Mütter oder Ehefrauen, die ihre lieben Gefangenen beim Verlassen der Haftanstalt abholen wollen. Einige sind mit ihren Kindern gekommen, deren Augen vom Schlaf noch ganz verquollen sind. Sie streichen mit leerem Blick an den Mauern entlang und kauern sich irgendwo hin. Inzwischen haben sich auch ein paar Männer eingefunden, sie halten möglichst großen Abstand zu den Frauen, um den ersten Begnadigten aufzulauern. Eine seltsame Stille legt sich über die Straße. In weniger als dreißig Minuten hat sich jedoch ein gewaltiger Menschenauflauf auf dem Platz gebildet. Ein Lieferwagen bahnt sich auf halsbrecherische Weise einen Weg durch die Menge. Es ist ein Fernsehteam. Ein kräftiger, langer Kerl springt auf den Asphalt, die Kamera geschultert, gefolgt von einer Amazone mit einem Strubbelkopf, die ihr Mikro gut sichtbar vor sich hält, um allen zu zeigen, daß sie zum Arbeiten da ist und nicht, um sich von den Gefängniswärtern vermöbeln zu lassen. Der Lange fängt an zu filmen, schwenkt über den Haufen armer Schlucker und verweilt dann bei einem Alten, den die Moderatorin mit dummen Fragen über die Barmherzigkeit des Präsidenten in die Enge treibt. Der Alte schaut um sich und weiß nicht, was er antworten soll. Eine Frau schubst ihn zur Seite, um ins Bild zu kommen, nimmt der Journalistin das Mikrophon aus der Hand und ergeht sich in einer langen Litanei. Sie erzählt von den Jahren ohne ihren Sohn, von den entehrenden Verrichtungen, die sie auf sich nehmen mußte, um nicht Hungers zu sterben - sie, eine Kriegsinvalidin! Die Journalistin weist sie darauf hin, daß der Rais einen geradezu pharaonischen Edelmut hat walten lassen. Die Frau stimmt ihr eilfertig zu und fleht den Herrn mit gefalteten Händen an, er möge alle seine Wohltaten über den Vater der Nation ausschütten. Hocherfreut, ermuntert die Journalistin sie mit einem Kopfnicken, in dieser Weise fortzufahren. Plötzlich läßt ein lautes Knarren alle erstarren. Das Tor öffnet sich einen Spaltbreit, die ersten Begnadigten erscheinen. Seltsamerweise geht ihnen niemand entgegen. Die Journalistin nutzt diesen Moment des Zögerns, um sich auf einen Freigelassenen zu stürzen, der hinter seinem Asketenbart kaum zu sehen ist und sich geschickt auf das FrageAntwort-Spiel einläßt. Er erklärt, daß er erleichtert sei, die Seinen, die Freunde, die Straßen seiner Stadt und die Moschee wiederzufinden, daß Gott seine Wünsche erhört habe, daß er ihm fortan dienen und ihn nicht enttäuschen werde. Was den Gnadenerlaß des Präsidenten angehe, fügt er hinzu, sei es Gott, der den Menschen die Güte ins Herz pflanze, und dem Rais komme überhaupt kein Verdienst zu, es sei denn jenes, nicht auf dem Weg der Verfehlung zu beharren. Die Journalistin hört das gar nicht gern; sie fordert ihren Kameramann auf, die Aufzeichnung zu stoppen. Inzwischen strömen die Familien zu ihren Angehörigen. Kleine Knirpse fallen ihren Vätern um den Hals, alte Männer in die Arme ihrer Taugenichtse, und die Frauen begnügen sich damit, schamhaft in sich hineinzuschluchzen.
    Serdj überwacht die Freigelassenen, indem er von dem Foto, das uns Professor Allouche gegeben hat, immer wieder zu den zerzausten Fratzen aufschaut, die über den Vorplatz des Gefängnisses stolzieren. Endlich läßt sich der Namenlose blicken, eingehüllt in ein makelloses Kamis, das lange Hemd der Muslime. Groß wie ein Jahrmarkt-Herkules, massiges Gesicht, in das zwei ausdruckslose Augen eingegraben sind. Er geht zur Seite, um die Toreinfahrt nicht zu verstellen, und wartet dort mit verschränkten Armen. Die Menge zerstreut sich allmählich, der Ü-Wagen fährt ab, gefolgt von der Journalistentraube.
    Bald bleibt nur noch ein Grüppchen ratloser Begnadigter auf dem Bürgersteig zurück. Vor dem Gefängnistor hält ein schwarzes Auto, eine Tür öffnet sich. Der Namenlose springt auf den Rücksitz, wo er von jemandem erwartet wird.
    »Folg ihnen«, befehle ich Serdj.
     
    Ich tue

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