Nacht über Algier
so, als betrachtete ich die in ihrem Schmutz versinkende Stadt. In Wirklichkeit spioniere ich Linos Spiegelbild im Fenster aus. Er hat die Hände in den Taschen vergraben. Seine Jacke ist aus echtem Wildleder, unter dem aufgeknöpften Seidenhemd bläht sich seine behaarte Brust, auf der eine gewaltige Gigolokette prangt. Seine edle Hose schmückt ein Gürtel mit goldener Schnalle, und seine frisch geputzten Schuhe glänzen wie tausend Sterne. Ich brauche meinen Schnupfen nicht auszukurieren, um mitzubekommen, daß Lino sich eine Flasche Parfüm über den Körper geschüttet hat.
Seitdem er sich in seinen Vamp verliebt hat, wird Lino immer unausstehlicher. Was mich am meisten wurmt, ist die Tatsache, daß meine Autorität in der Zentrale zu bröckeln beginnt, da es mir nicht gelingt, meinen engsten Mitarbeiter zur Vernunft zu bringen.
Ich tue absichtlich so, als interessierte ich mich für die schlammigen Gassen, um zu sehen, wie lange er seine Show durchzieht.
Lino spürt, daß ich ihn beobachte.
»Darf ich wissen, was du mir übelnimmst, Kommissar Brahim Llob?«
Mit erhobenem Zeigefinger drehe ich mich langsam zu ihm um.
»Den plumpen Aufsteiger mimen, das kannst du dir für die Hotelboys aufsparen, verstanden? Wenn man etwas falsch gemacht hat und auch nur ein bißchen Verantwortungsgefühl besitzt, bittet man um Entschuldigung.«
»Was habe ich denn verbrochen?« fragt er heuchlerisch.
Mein Finger fängt an zu zittern, aber dann, bei soviel hoffnungsloser Dummheit, gebe ich auf.
»Ja, es kommt öfter mal vor, daß ich nicht da bin«, räumt er ein, »aber das ist wohl kein Weltuntergang. Niemand hier macht Dienst nach Vorschrift.«
Um ruhig Blut zu bewahren, begnüge ich mich damit, ein Blatt Papier aus dem Schreibblock zu nehmen und ihm hinzuschieben.
»Innerhalb von fünfundzwanzig Tagen warst du siebzehnmal abwesend, du hast dich fünfmal beim Bereitschaftsdienst vertreten lassen, du bist fünfmal während der Arbeitszeit verduftet, du hast dich nie abgemeldet, und du hast es nicht ein einziges Mal für nötig gehalten, dein Zuspätkommen zu erklären. Die Zentrale ist kein Kasernenhof, richtig. Aber die Zentrale hat einen Direktor, und der bin nicht ich. Ich habe eine Ermittlungsabteilung unter mir, und ich lege Wert darauf, daß man mich nicht für reine Dekoration hält. Ich bin dein Vorgesetzter, dein Boß, dein Manitu.« An dieser Stelle grinst Lino unverhohlen. »Und ich verlange von dir, daß du dich bei mir abmeldest und mir mitteilst, wie ich dich erreichen kann, ganz gleich, wo du gerade deinen Spaß hast. Wenn du meinst, daß das zuviel verlangt ist, weißt du, was du zu tun hast.«
»Und zwar?«
»Du nimmst dir ein DIN-A4-Blatt, einen Kugelschreiber, und dann schreibst du deine Kündigung.«
»Ich habe nicht die geringste Absicht, meine Karriere abzubrechen.«
»Dann halt dich gefälligst an die Vorschriften.«
Lino schüttelt den Kopf. Mit einer theatralischen Geste faßt er sich an die Stirn, um nach einer stichhaltigen Ausrede zu suchen.
»Warum will mich denn keiner verstehen, verdammt noch mal?« Er wirft mir einen herzerweichenden Blick zu. »Daß die anderen mich schief angucken, ist normal, aber du, Kommy ... Merkst du denn nicht, daß ich gerade die schönsten Augenblicke meines ganzen beschissenen Lebens verbringe? Schon allein deswegen könntest du etwas nachsichtiger sein.«
»Das ist kein Grund. Du bist Polizist, du hast Verpflichtungen.«
»Es werden auch wieder andere Zeiten kommen. Aber im Moment fühle ich mich wie im Märchen. Als würde ich auf Wolken schweben.«
»Wolken haben Löcher.«
»Und wenn schon.«
»Du hast die Wahl: Wenn du weiter auf Wolken schweben willst, landest du auf der Straße.«
Lino ist bestürzt. Seine Nasenflügel weiten sich, und seine Pupillen glänzen. »Ich habe andere Sorgen.«
»Dafür kann ich nichts.«
Angesichts meiner Unnachgiebigkeit verlegt er sich aufs Flehen. »Ich bin verliebt, verdammt! Ich habe eine verwandte Seele gefunden. Ich bin überglücklich. Ich lebe wie im Traum, wie in einem wunderschönen Traum.«
»So wunderschön, daß du gar nicht mitbekommst, wie sich die Kette deiner Gläubiger bandwurmartig immer mehr in die Länge zieht.«
Da erstarrt er. Er muß sich gewaltig zusammenreißen, um mir nicht an die Gurgel zu springen.
»Ich sehe sehr wohl, daß die Klatschmäuler einen prima Gesprächsstoff gefunden haben. Willst du wissen, was ich davon halte, Kommy? Neidhammel sind das. Sie sind neidisch auf
Weitere Kostenlose Bücher