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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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sich an einem Kreuzworträtsel, nimmt sich eine Karikatur vor, kritzelt in der Zeichnung herum und streicht sie schließlich ganz durch. In seinem angespannten Gesicht sehe ich die Kiefer mahlen. Um ihn noch mehr zu reizen, lege ich die Füße auf den Schreibtisch und strecke ihm meine alten Schuhsohlen entgegen. Das Schweigen im Raum ist mit dumpfer Feindseligkeit geladen.
    Schließlich rafft sich Lino auf. Er greift nach dem Hörer.
    »Hast du keine Sehnsucht nach mir, Liebling? . Du hast mich nicht angerufen ...« Er schaut auf seine Uhr. »Genau 9 Uhr 32 ... Ach so, ich habe völlig vergessen, daß du nie vor Mittag aufstehst.«
    Lino, der mir mit dem Anruf bei seiner Dulcinea imponieren wollte, muß einsehen, daß das ein Reinfall war. Wenn ich Mina morgens um drei wecken würde, dann fiele es ihr nicht im Traum ein, mich einfach abzuhängen. Er legt den Hörer auf, nimmt den Stift und fängt an, die Porträts in der Zeitung eins nach dem anderen zu entstellen.
    Plötzlich hört man im Korridor das wütende Klappern von einem Paar Pfennigabsätzen. Der Lieutenant spitzt die Ohren wie ein läufiges Tiermännchen, das ein Weibchen in seiner Nähe wittert. Das Hämmern kommt näher, biegt ab und macht halt im Büro von Baya. Metallstühle werden mit lautem Krachen weggeschoben. Ich höre meine Sekretärin schreien: »He, das ist hier kein Taubenschlag.« Worauf die Tür zu meinem Reich trotz Bayas Wachsamkeit aufgestoßen wird. Eine Dame kommt auf mich zu und läßt ihre Faust auf meine Akten herabsausen.
    »Sind Sie Kommissar Llob?«
    Ich schätze solche Manieren überhaupt nicht, doch in diesem Fall sehe ich darüber hinweg. Die Dame interessiert mich. Der Typ, der mich zu allem entschlossen macht. Das erinnert mich an meine frühen Jahre als Kämpfer beim FLN. Eine kybernetische Energie kreist um ihre Person. Ihre festen Fäuste, ihr scharfer Blick, ihr strenger Haarknoten sprechen mich an. Hinter dieser hübschen Frau in ihrem schmucklosen, engen Kostüm, mit ihrer Gewerkschafterbrille und ihrer hohen Stirn verbirgt sich eine echte Bombe. Ich kenne die Algerierinnen, die können es in sich haben. Deshalb wäre es dumm, sich ihnen zu widersetzen, wenn sie ganz offensichtlich gewillt sind, auf die Barrikaden zu steigen. Ich lasse mich also in den Sessel zurücksinken, falte die Hände über dem Bauch und beobachte sie. Sie ist großartig, und sogar ihr Zorn ist hinreißend. Lino in seiner Ecke ist wie gebannt, auch wenn er auf den Boden starrt.
    »Sind Sie das?« erkundigt sie sich, den Finger auf mich gerichtet.
    »Mit wem habe ich die Ehre?«
    »Mit der Justiz.«
    »Wo ist die Augenbinde?«
    »Offenbar haben Sie sie umgebunden, da Sie nicht sehen, wohin Sie Ihre Füße setzen. Ich werde nicht lange fackeln. Das ist meine erste und letzte Warnung. Wenn Sie nicht in den folgenden dreißig Minuten den idiotischen Kleinkrieg gegen meinen Klienten einstellen, werden wir uns vor Gericht wiedersehen. Ich erinnere Sie daran, daß der Namenlose unter die Präsidentenamnestie fällt. Nichts berechtigt Sie dazu, diese Maßnahme anzufechten oder zu unterlaufen, Herr Kommissar. Einstweilen habe ich beschlossen, mich direkt an Sie zu wenden, um Sie vor Ihrem Übereifer zu warnen. Das nächste Mal erspare ich mir das, und dann werden Sie Rechtsanwältin Wahiba in ihrem Element erleben.«
    Und damit macht sie kehrt und verschwindet, wie sie gekommen ist. Wie ein Windstoß.
    »Hoppla!« entfährt es Lino.
     
    8
     
    Monique hat uns zum Essen eingeladen. Eigentlich war ich vollkommen erledigt und wollte mich einfach nur vor den Fernseher fallen lassen, um in aller Ruhe das Pokalspiel JSK gegen Olympique El Khroub zu verfolgen. Sie erinnerte mich daran, daß sie auch einen Fernsehapparat hätten und Mohand sich freuen würde, ein bißchen mit mir zu plaudern. Ich habe eine Minute zu lang überlegt, denn Monique fing an, alle Köstlichkeiten aufzuzählen, die sie gerade zubereitete, und schließlich habe ich der Versuchung nachgegeben.
    Mina hatte auch keine Lust auszugehen. Sie schützte eine Migräne vor. Ich habe ihr klargemacht, daß das die Gelegenheit sei, ein paar Sous auf die Seite zu legen. Als wir das letzte Mal unser Sparschwein geschüttelt haben, mußten wir es erst einmal von Spinnweben befreien. Mina wog das Für und Wider ab, zog dann brav ihr Kleid an und beeilte sich, mich im Treppenhaus einzuholen.
    Wir sind in unsere Schrottkarre gestiegen und haben beim billigsten Konditor des Viertels ein bißchen Gebäck

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