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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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gekauft, um nicht mit leeren Händen bei unseren Gastgebern zu erscheinen. Da es noch hell war, haben wir beschlossen, eine Stadtrundfahrt zu machen, damit wir so richtig hungrig wären und uns am Abend so den Bauch vollschlagen könnten, daß wir bis zu den nächsten Wahlen zu kauen hätten.
    Algier hat seine Seele zwar noch nicht ganz verloren, doch wo man auch hinblickt, es geht überall bergab. Du freust dich auf einen Abend an der Strandpromenade, aber kaum bist du da, hast du nur noch einen Gedanken: auf der Stelle umkehren. Wo früher Funken sprühten, breitet sich heute Sorge aus. All die winzigen Details, die dem Charme der Stadt den letzten Schliff gaben, sucht man heute vergeblich. Die Cafes gleichen Höhlen, die Kinos sind geschlossen, die Parks und Esplanaden verkommen. Auf den leprösen Straßen dröhnen einem obszöne Sprüche entgegen, üble Gerüche aus billigen Kneipen martern einem die Nase. El bahja, Algier, der Heiteren, Strahlenden, geht es nicht gut. Ein unergründliches Unbehagen vergiftet die Gemüter. Niemand begreift, warum in einem Land, wo es für groß und klein zu essen und zu trinken gibt, ein ganzes Volk am Hungertuch nagt; niemand ist in der Lage zu erklären, warum sich die Rechtschaffenen unter dem hellen Licht der guten alten Sonne Algeriens nur tastend vorwärts bewegen, warum sich die Anständigen an den Häuserwänden entlangdrücken und die Jungen im Halbschatten der Toreinfahrten die entsetzliche Schwärze des Abgrunds aufsuchen.
    Ohne ein Wort zu sagen, grübelt Mina über all das nach. Ihr Blick hat sich verschleiert. Es gibt keinen Zweifel: Das Vaterland versinkt immer mehr im Sumpf. Der gute Wille zerbröselt an den Mauern zügelloser Gier, unter den Kämpfern beginnt sich Resignation einzuschleichen, und die frisch Diplomierten fordern lauthals einen Teil des Kuchens ein, den sie so bald nicht zu Gesicht bekommen werden. Ohne Vorankündigung wird das Pulverfaß früher oder später auch unter den Alarmiertesten explodieren. Der Schlamassel kündigt sich mit großem Pomp an, und der Schaden wird unwiederbringlich sein.
    Um meine Beifahrerin aufzumuntern, gebe ich ihr einen liebevollen Rippenstoß. »Erinnerst du dich noch an Algier in den Zeiten des Baraka [ (arab.) Glück, Segen Gottes], als es noch glücklich war?«
    »Ich versuche, nicht allzusehr an der Vergangenheit zu rühren«, seufzt sie.
    »Es sind dieselben Straßen, dieselben Leute, dieselben Lichter. Was hat sich bloß so verändert?«
    »Die Einstellung.«
    »Die Einstellung?«
    »Früher haben wir alles miteinander geteilt.«
    »Wir hatten doch gar nicht viel.«
    »Aber es kam von Herzen.«
    »Du meinst, daß unser Unglück daher kommt, daß wir nicht mehr mit dem Herzen dabei sind?«
    »Ja, das glaube ich. Als der Kolonist weg war, haben wir uns aus den Augen verloren. Je unersättlicher wir nach den Sternen griffen, desto mehr haben wir auf das Wesentliche verzichtet: die Großzügigkeit. Mit den Menschen, Brahim, ist es so wie mit den Elefanten. Ein Schritt weg von der Gruppe, und schon rennen sie in ihr Verderben. Wir sind Egoisten geworden. Und wir haben die Leinen losgemacht. In dem Glauben, zu den anderen Abstand zu halten, doch in Wirklichkeit treiben wir ab. Je mehr wir uns voneinander abschotten, desto angreifbarer werden wir. Weil wir uns entschieden haben, uns allein durchzuschlagen, verlieren wir immer mehr den Halt. Wir können uns die Kehle aus dem Leib schreien, daß uns jemand zu Hilfe kommen möge, aber alle hören nur ihren eigenen Sirenengesang.«
    »Sag mal, du hast ja doch nicht nur Hausfrauensorgen im Kopf. Wo hast du gelernt, so zu reden?«
    »Beim Sockenstopfen.«
    »Du hättest dein Glück an der Universität versuchen sollen, als es noch Zeit war.«
    »Unmöglich. Schon als ich noch zum Gymnasium ging, wartete jeden Tag nach Schulschluß auf dem Gehsteig gegenüber so ein junger Snob auf mich. Bis kurz vor meiner Haustür wich er mir nicht von der Seite und machte mir den Hof. Weil er bei der Polizei war, glaubte er, daß er sich alles herausnehmen könnte. Er erzählte mir von einer Wohnung im dritten Stock, ganz für ihn allein, mit vielen, vielen Fenstern, Scheuerlappen in Hülle und Fülle und einem Kühlschrank. Er behauptete, es wäre ein richtiges kleines Paradies, und abends würde die Sonne, bevor sie untergehe, ihre goldenen Strahlen in das Zimmer am Ende des Flurs werfen, ein Schlafzimmer, so groß wie ein Königreich, mit einem funkelnagelneuen Spiegelschrank, einem

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