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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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Konspiration zu verfangen. Die massive Ausreisewelle schuf freie Stellen, und die Opportunisten stürzten sich wie wild darauf. Infolge des tragischen Verschwindens seines Direktors besetzte die Sphinx nun illegalerweise das BI, die Ermittlungsbehörde. Seltsamerweise quartierte ihn kein Wachmann wieder aus. Auf dem Schwarzmarkt des Landes galt Hocine El-Ouahch als der beste Anwärter auf diesen Posten. In den Führungsetagen wollten sie weiter in aller Ruhe ihren krummen Geschäften nachgehen, weshalb sie es schließlich für das beste hielten, diesem ehrgeizigen Rohling das BI zu überlassen. Hocine war nicht blöd, er war lediglich Analphabet. Er spielte das Spiel perfekt, unterschrieb schwungvoll und zur vollen Zufriedenheit seiner Vorgesetzten gefälschte Rechnungen, eingestellte Ermittlungen, auf Eis gelegte Akten, vordatierte Berichte, erfundene Zeugenaussagen und so weiter. Er wurde steinreich, was ihn von seinen Sünden lossprach, und sehr einflußreich, was ihn in den Rang einer lokalen Gottheit erhob. Heute ist Hocine El-Ouahch ein richtiger Zai'm. Er kann immer noch keine Zeitung lesen, und jedesmal wenn ein Hochschulabsolvent seine Diplome vorweist in der Hoffnung, dadurch ein Minimum an Anerkennung zu ergattern, stopft er ihm das Maul, indem er seine Kriegsverletzungen zeigt und gebetsmühlenartig seine unzähligen Heldentaten herunterschnurt, ohne die Algerien noch bis zum heutigen Tage unter französischer Knute stünde.
    Persönlich hatte ich mit der Sphinx bisher noch nichts zu tun. Man kennt sich, Punkt. Über die Schande meiner Berufskollegen erröte ich nicht mehr. Für mich hat Hocine El-Ouahch statt der kleinen grauen Zellen nur Stroh im Kopf, und es besteht keinerlei Anlaß, ihm auch nur die geringste Geistesgegenwart zu unterstellen. Ich hätte also fast meinen Adamsapfel verschluckt, als ich seinen Namen unter den Mitgliedern der Kommission für die Präsidentenamnestie fand. Den ganzen Nachmittag über habe ich versucht zu begreifen, was ein Hornochse in einer Truppe angesehener Psychiater zu suchen hat. In der Nacht konnte ich deswegen kein Auge zutun. Und am nächsten Morgen beschließe ich, da ich mich nicht damit abfinden will, daß ein Land erledigt ist, nur weil ein Primitivling über eine auserwählte Gruppe von Gelehrten das Zepter schwingt, ihn mir aus der Nähe anzusehen.
    Gegen 9 Uhr 30 treffe ich bei der Ermittlungsbehörde ein. Man gibt mir zu verstehen, daß die Sphinx erst nach zehn Tassen Kaffee und drei zusammengestauchten Mitarbeitern ansprechbar ist. Also lasse ich mir Zeit. In einem zweifelhaften Cafe knabbere ich ein Croissant, überfliege die Zeitung, in der nichts Neues zu lesen ist, und raffe mich dann, nach meiner zweiten Zigarette, auf. Der Verwaltungsblock, über den Hocine El-Ouahch herrscht, gleicht einer Geisterfestung. Alle Angestellten verkriechen sich hinter ihren Papierbergen und tun so, als wären sie gar nicht da. Ein paar Köpfe heben sich, als ich vorübergehe; alle sehen aus wie geprügelte Hunde. Doch man täusche sich nicht: Diese völlig ergebenen, braven Hündchen verwandeln sich in wahre Scheusale, sobald sie auf den armen Steuerzahler losgelassen werden.
    Ghali Saad, der ständige Sekretär des BI, erwartet mich mit freundlichem Lächeln auf der Schwelle zu seinem Heiligtum. Ich habe diesen Typen nie gemocht. Jedesmal wenn sich unsere Wege kreuzen, befällt mich Unbehagen. Ich habe ihn als Balljungen auf einem Tennisplatz kennengelernt. Wie hat er bis zur Sphinx aufsteigen können, und vor allem so schnell? Er selbst würde sich kein Bein ausreißen. In Algerien öffnen sich die Tore zur ewigen Seligkeit ebenso unvorhersehbar, wie die Falltüren zuschlagen, hinter denen es kein Zurück mehr gibt. Eine Frage von Baraka, von Glück. Entweder hast du es, oder du hast es nicht. Ghali ist ein stattlicher, dunkelhaariger Mann von olympischer Schönheit, ein äußerst höflicher Mensch und unwiderstehlicher Kavalier.
    »Was für ein gesegneter Tag«, ruft er mir entgegen und breitet die Arme aus, um mich zu empfangen.
    »Laß das Gesülze«, erwidere ich.
    »Köstlich, wie unverbesserlich du bist«, sagt er und bittet mich in seinen goldenen Käfig.
    Unmöglich, Ghalis Büro zu beschreiben, ohne für verrückt gehalten zu werden. Eine auserlesene Holztäfelung, kristallene Gläser, Samtvorhänge, ein himmlischer Teppich und an den Wänden Gemälde aus dem Nationalmuseum, die, ohne jede Quittung entliehen, ganz sicher nie wieder zurückgegeben werden.

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