Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
Vom Netzwerk:
zu stellen? Alles, was ich weiß, ist, daß Gott völlig freie Hand hat, Nachbesserungen vorzunehmen. Tut er das nicht, wird er seine Gründe dafür haben. Aber was kümmert mich das?«
    Ich drehe mich um und mustere ihn einen Moment. Sein Lächeln ist verschwunden.
    Ich habe keine Ahnung, was für einen Wert dieses erste Geständnis tatsächlich hat, doch wie die Dinge liegen, ist es immerhin besser als nichts.
     
    9
     
    Hocine El-Ouahch, genannt die Sphinx, hat nie eine schulische Einrichtung besucht. Was er gelernt hat, hat er sich bei der Arbeit beigebracht, und er ist nach wie vor davon überzeugt, daß allein die Übung den Meister macht. Nicht der Kopf ist das Entscheidende, sondern die Hände. Wenn Fingerfertigkeit auch Fingerspitzengefühl heißt, dann weil alles auf die Hände zurückgeht und alles kraft der eigenen Fäuste bewältigt wird. Der Beweis: Ohne auch nur ein einziges Lehrbuch angeschaut zu haben, hat er im Befreiungskrieg in seiner Eigenschaft als Pyrotechniker so viele Schienen und Brücken in die Luft gejagt, daß sich das algerische Eisenbahnnetz bis heute nicht davon erholt hat. Nach der Unabhängigkeit gab er sich mit dem Grad eines Obergefreiten in einer Pioniereinheit zufrieden, wobei er die meiste Zeit damit verbrachte, im Douar [ (arab.) Weiler, Dorf] umherzustolzieren, immer eine Zigarette der Marke Bastos zwischen den Zähnen, einen Nietengürtel um den Hals und mit offener Jacke, unter der sich der Wanst eines mürrischen und streitsüchtigen Säufers wölbte. Er lebte wie ein König. Tagsüber versetzte er den Kartoffelschälern einen Tritt in den Hintern, abends pichelte er auf Kosten der treuherzigen Kerle im »Camelea« und erzählte ihnen, wie er ganz allein und ohne dienstlichen Auftrag die französischen Fallschirmjäger in die Flucht geschlagen hatte. Dann bekam das Bataillon hochentwickeltes Material geliefert, und damit wurde alles komplizierter. Es ging nicht mehr darum, Sprengkörper zusammenzubasteln und sie auf einen vorüberfahrenden feindlichen Laster zu werfen. Die sowjetischen Instrukteure kamen mit verwirrenden Gebrauchsanweisungen an und bestanden nachdrücklich darauf, daß man sich strikt daran halte.
    Hocine kam nicht mehr mit. Er gehörte zum alten Eisen. Man brummte ihm einen Lehrgang an einer Spezialschule auf. Da seine Neuronen von den gelehrten Sprüchen und esoterischen Berechnungen völlig überfordert waren, mußte er passen und gab seinen Seesack, Helm und Stiefel zurück, um sein Glück im Zivilleben zu versuchen. Er war nacheinander Automechaniker, Lieferant, Pfandleiher, bis er sich einen Trawler mietete. Wegen übermäßigen Gebrauchs von Dynamit bei seinen Fischfangtouren wurde er eingelocht. Die alarmierenden Haftbedingungen kamen seinem alten Chef im Untergrund zu Ohren - inzwischen ein Halbgott -, der schnurstracks zu ihm eilte und der Strafanstalt Dampf machte und jedem, der es hören wollte, verkündete, daß es der Gipfel der Undankbarkeit und Schande sei, einen Helden der Revolution in eine Dunkelzelle zu sperren. Hocine El-Ouahch wurde unverzüglich freigelassen. Gleich darauf trat er in den Polizeidienst ein, um sich an seinen Kerkermeistern zu rächen. Gegen Ende der sechziger Jahre sah man ihn zunächst auf der Place du Premier Mai die Fuhrleute zurechtpfeifen, dann am Eingang des Bologhine-Stadions auf die Fans von Mouloudia eindreschen. Sein Ruf als Schläger verbreitete sich rasch in der Unterwelt. Tagsüber Bulle, nachts Zuhälter, so florierten seine zweifelhaften Geschäfte vor aller Augen, ohne den geringsten Protest hervorzurufen. Bei der Polizei hatte der Korpsgeist Vorrang vor allen anderen Erwägungungen. Hocine nahm das zum Anlaß, noch eins draufzusetzen. Und das mit großem Geschick. Er kannte seinen Handlungsspielraum, überschritt niemals seine Grenzen und achtete darauf, verbotene Jagdgründe nicht zu betreten. Eines Tages traf man ihn unvermutet als vereidigten Chauffeur eines hohen Staatskaders an, der berühmt war für seine bissigen Seitenhiebe gegen das Politbüro und der auf so merkwürdige Weise verschwand, daß etliche Geldsäcke es für ratsamer hielten, ihren Dienstwagen selber zu fahren. Überhaupt wurde in jener Zeit des revolutionären Aufschwungs das Abtauchen schon fast zu einem gesellschaftlichen Phänomen: Auf die Flucht der großen Köpfe folgte die Flucht des großen Geldes, und eine ganze Reihe frustrierter oder wohlsituierter Apparatschiks wanderte lieber aus, als sich in den Netzen der

Weitere Kostenlose Bücher