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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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daß sich niemand zu mir an den Tisch setzt. Ich folgere daraus, daß bei meinem Anblick sogar meine eigene Mutter die Augen verdrehen würde. Ich rühre meinen Teller nicht an und beschließe, an die frische Luft zu gehen.
    Es ist gekommen, wie es kommen mußte. Gegen zehn Uhr abends ruft die Zentrale an. Eine halbe Stunde später stehe ich am Chemin des Lilas, vor der Hausnummer sieben. Die Straße liegt im Halbdunkel. Ein Kranken- und zwei Lieferwagen, außerdem nicht weniger als sieben Polizeiautos versperren die Straße. Neugierige, manche im Morgenmantel, drängen sich auf dem Bürgersteig und beobachten schweigend den Trubel. Die Straße ist nach beiden Seiten hin abgesperrt. Bullen in Zivil laufen auf der Suche nach Indizien hin und her. Auf dem Boden bezeichnen vier Kreidekreise die Stelle, wo Patronenhülsen lagen. Neben einer erloschenen Lampe durchkämmt Bliss auf Knien gewissenhaft ein Büschel Gras mit einem Zweig. Er winkt einen Fotografen heran und fordert ihn auf, ein paar Aufnahmen von einer Fußspur zu machen. Serdj hat mich bemerkt, er steckt sein Notizbuch in die Jackentasche und begrüßt mich. Er zeigt auf die Limousine, die mit zersplitterter Windschutzscheibe vor dem Eingang des Palastes steht.
    »Man hat auf den Fahrer von Haj Thobane geschossen. Drei Kugeln in den Kopf und zwei weitere ins Genick und die Schulter. Der Täter muß hinter dem Gebüsch gestanden haben. Wahrscheinlich hat er die beiden Lampen kaputtgeschlagen, um die Dunkelheit auszunutzen.«
    »Wann ist es passiert?«
    »Vor etwa fünfundvierzig Minuten. Monsieur Thobane kam aus seinem Büro.«
    »Gibt es Zeugen?«
    »Im Moment noch nicht.«
    »Habt ihr die Nachbarn verhört?«
    »Wir sind auch gerade erst eingetroffen.«
    »Laß bitte alle Nachbarn vernehmen, ohne Ausnahme.«
    »Wird gemacht, Kommissar.«
    Ich werfe einen Blick ins Innere des Mercedes. Der Oberkörper des guten Mannes auf dem Beifahrersitz liegt über dem Schalthebel. Der Schädel ist halb weggesprengt, der rechte Arm und die ganze rechte Seite sind blutüberströmt. Er hat die Augen und den Mund weit aufgerissen.
    »Wo ist Monsieur Thobane?«
    »In seiner Villa, zusammen mit unserem Direktor und ein paar Lokalgrößen. Die Nachricht hat sich sehr schnell verbreitet. Der Innenminister wird jede Minute erwartet.«
    Bliss kommt mit einer Patronenhülse in einer Plastiktüte auf uns zu.
    »Beretta, 9 mm«, sagt er.
    Ich lasse meine Leute für die weiteren Ermittlungen alle nur erdenklichen Informationen einholen und gehe dann in die Villa. Thobane sitzt zusammengesunken auf seinem Thron, weiß wie ein Leichentuch. In seiner zitternden Hand hält er ein Glas Scotch. Neben ihm der Direx, genauso kreidebleich im Gesicht. Mit über der Brust verschränkten Armen sieht er mir grimmig entgegen. Etwas abseits stehend, unterhält sich die Sphinx mit seinem Sekretär Ghali Saad.
    »Ach, da bist du endlich!« herrscht mich der Direx an. »Ich versuche schon seit einer Ewigkeit, dich zu erreichen.«
    So ist er nun mal. Immer wenn ihm die Dinge über den Kopf wachsen, nimmt er sich einen Untergebenen vor. Ich bleibe ruhig und bitte ihn um Aufklärung.
    »Man hat auf den Fahrer von Monsieur Thobane geschossen.«
    »Aber sie hatten es auf Monsieur Thobane abgesehen«, stellt Ghali Saad klar.
    Haj Thobane schreckt hoch, wie ernüchtert von der Bemerkung des Sekretärs. Er merkt nicht, daß er sich das halbe Glas Scotch über den Anzug gekippt hat. Ghali Saad macht sich von seinem Chef los, um dem wie durch ein Wunder Davongekommenen solidarisch auf die Schulter zu klopfen.
    »Darf ich erfahren, was Sie zu dieser Vermutung veranlaßt?«
    »Das ist keine Vermutung, Kommissar. Es liegt doch auf der Hand.«
    »Ganz richtig«, bekräftigt Thobane. »Normalerweise sitze ich nicht am Steuer. Aber in der Tiefgarage unter meinen Büroräumen entdeckten wir, daß das Auto einen Platten hatte. Der unglückselige Larbi hat sich beim Reifenwechseln die Hand verrenkt, und deshalb habe ich mich ans Steuer gesetzt. Der Mörder wollte mich abknallen. Er hat versehentlich auf meinen Fahrer geschossen.«
    »Wie sah er aus?«
    »Monsieur Thobane ist noch nicht wieder ganz bei sich«, tadelt mich der Direx.
    »Ich bin absolut bei klarem Verstand«, empört sich Thobane. »Da braucht es schon mehr als so einen ordinären Dreckskerl, um mich aus dem Konzept zu bringen.«
    »Das habe ich damit auch nicht sagen wollen, Monsieur Thobane.«
    »Dann halten Sie die Klappe. Sie scheinen zu vergessen, daß

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