Nacht über Algier
Bürgersteigen und Fassaden, an denen der Putz abbröckelt. Die düsteren Häuschen, die sich unter ihren eingefallenen Dächern ducken, stammen noch aus ottomanischer Zeit. Die Kneipe liegt etwas abseits, hinter einem verblaßten Schild verschanzt, auf dem man mit einiger Mühe »Le Chat noir« lesen kann. Unter der Herrschaft des Dey [ (arab.) Im Ottomanischen Reich die Bezeichnung für einen türkischen Statthalter in Algerien] befand sich hier ein Hammam, das die türkischen Würdenträger aufsuchten, um abzuspecken. Nach der Invasion im Juli 1830 beschlagnahmten die Franzosen es in ihrem Siegestaumel und machten einen Soldatenpuff daraus, in dem es reichlich Orgien, im Affekt begangene Verbrechen und Fälle von Syphilis gab, bis der FLN während der Schlacht von Algier dem Treiben mit Waffengewalt Einhalt gebot. Das Haus blieb geschlossen, bis eine alte Prostituierte es Ende der sechziger Jahre übernahm. Infolge einer Serie von Morden wurde es erneut dichtgemacht. Heute ist es eine verrufene Spielhölle, finster wie seine Kundschaft und mit bedrückend dunklen Ecken.
Da es tagsüber geschlossen ist, warte ich den Abend ab, um einen Blick hineinzuwerfen. Aus Sicherheitsgründen begleitet mich Serdj. Mich nach Einbruch der Dunkelheit allein in eine solche Sackgasse zu wagen würde die vor die Tür gesetzten Saufbolde auf gefährliche Gedanken bringen.
Der stämmige Türsteher am Eingang sieht aus, als hätte er ständig schlechte Laune und als würde er bei der geringsten falschen Bewegung zuschlagen. Meine Polizeimarke beeindruckt ihn nicht im mindesten. Widerstrebend tritt er zur Seite, um uns hereinzulassen.
Serdj kann sein Unbehagen nicht verbergen. Der Ort erlegt ihm äußerste Zurückhaltung auf. Um die zehn Männer sind im Saal verteilt, einige in Begleitung von zweifelhaften Mädchen, andere begnügen sich damit, sich angeregt mit ihren Hirngespinsten zu unterhalten. Ein Alter in Latzhose lacht wild gestikulierend vor sich hin. Als er uns hereinkommen sieht, reißt er seinen zahnlosen Mund weit auf und zeigt mit dem Finger auf uns. An der Theke sitzt, über sein Glas gebeugt, ein hünenhafter Schwarzer mit Schultern wie Festungswälle.
Der Barkeeper putzt um sich herum alles blank, eine Stange Lakritze zwischen den Zähnen.
»Hier wird nicht angeschrieben«, warnt er mich, als er meinen Dienstausweis sieht.
»Das trifft sich gut, ich versuche gerade solide zu werden.«
Serdj greift ein, um zu verhindern, daß die Dinge allzu rasch einen üblen Verlauf nehmen.
»Ein Kollege von uns, Lieutenant Lino, ist Stammgast in Ihrem Laden. Wir möchten wissen, ob er in den letzten Tagen hier war.«
Der Barkeeper legt seinen Lappen beiseite und wendet sich einem Gast am anderen Ende der Theke zu. Serdj geht ihm hinterher und sagt ruhig und höflich: »Er ist groß, dunkel, ein ziemlich hübscher Junge, und sehr gut gekleidet.«
Der Barkeeper redet weiter mit dem Gast. Seine betonte Lässigkeit bringt mich in Rage. Als er zurückkommt, um eine Flasche zu holen, packe ich ihn am Hals und ziehe ihn zu mir heran.
»Wir reden mit dir, du Arschloch.«
In keiner Weise von meinem Anwurf berührt, fixiert er mich verächtlich und antwortet: »Bügeleisen sind Mangelware im Land, Kho.«
»Na und?«
»Du hast mir mit deinen fetten Dreckspfoten den Kragen meines besten Hemdes zerknautscht.«
An seinem Blick merke ich, daß ich aus ihm nichts herausbekommen werde. Ich stoße ihn gegen seine Flaschenregale. In diesem Augenblick richtet sich der große Schwarze auf und dreht sich bedrohlich zu mir um.
»Was soll das, du Armleuchter?«
»Laß gut sein, Moussa«, sagt der Barkeeper zu ihm. »Ist doch nur ein Scheißbulle.«
Moussa gerät immer mehr in Wallung. »Ein Scheißbulle? Wo bin ich denn hier? Auf der Wache?«
»Du bist bei dir zu Hause«, erwidert ihm der zahnlose Alte, »zu Hause im >Chat noir<. Der Scheißbulle ist nicht bei sich zu Hause.«
Moussa überragt mich mit seiner Menschenfresserstatur. Von seinem widerlichen Mundgeruch wird mir fast schlecht.
»He, Scheißbulle, du hast hier nichts zu suchen! Schreiben wir etwa auf die Mauern der Republik, daß wir die Schnauze voll haben? Gehen wir etwa demonstrieren, treten wir etwa in Hungerstreik oder verleumden wir das Schweinesystem, von dem wir regiert werden?«
»Wir trinken nur ein Gläschen und fallen niemandem auf die Nerven«, sagt der Alte. »Wir krümmen niemandem ein Haar.«
»Und warum kommt er hier bei uns angeschissen, dieser Scheißbulle?
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