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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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uns um.
    Dine rückt seinen Schlips zurecht, streicht sich mit der Hand durch die Mähne und wartet ab, bis das Stimmengewirr in der Kneipe allmählich wieder einsetzt.
    »Man sagt dem Henker nicht, daß er sich die Augen zubinden soll, dir muß ich das doch nicht erklären. Du weißt selber, wie das Land funktioniert. Ein Wink, und mit unserer tollen Karriere ist es aus und vorbei; sogar unser Leben hängt nur von einem kurzen Anruf ab. Was für einen Schwachsinn läßt du da also vom Stapel? Es gibt keine Charta und keine Verfassung, weder Gesetz noch Recht. Wir dienen nicht einem Land, sondern ein paar Männern. Wir sind von ihren Stimmungen abhängig und richten uns nach ihrem Willen. Ich bin genauso entsetzt wie du, ich mache mir große Sorgen um Lino. Aber verdammt noch mal, er verteidigt sich ja nicht einmal. Lino hat ein Sakrileg begangen. Er verguckt sich in das kleine Flittchen einer Gottheit, dann führt er sich im Reich der Großkopfeten wie ein Cowboy auf und verweigert die Zusammenarbeit. Kein Wunder, daß sie ihn auf dem Kieker haben. Und du, Brahim, du hast keinerlei Chance, es mit Haj Thobane aufzunehmen, und wenn du dich noch so aufplusterst. Er ist ein Zai'm, er macht Regen und Sonnenschein, wie es ihm gefällt, ob dir das nun paßt oder nicht. Wenn er bei den Lügenmärchen über seine großartige revolutionäre Vergangenheit unseren Blicken standhält, ist er keine miese Ratte, sondern dann heißt das im Gegenteil, daß viele von uns ihm in Sachen Moral kaum nachstehen.«
    Dine hat recht. Vielleicht trifft Haj Thobane ja eines Tages der Schlag, oder er verschluckt sich an einem Knochen. Eine Menge Leute werden sich an seinem Grab versammeln und lauthals verkünden, daß die Geschichte nicht mit ihren Helden vergehen dürfe. Sie werden sich zu seinen beglaubigten Biographen ernennen und in Lobhudeleien ausbrechen. Dann wird man endlich begreifen, warum ein so prächtiges Land wie Algerien nicht vom Fleck kommt.
    Ich versuche ein Fünkchen Hoffnung in Dines Augen zu entdecken. Aber er wendet den Blick ab. Mit ihm kann ich also nicht rechnen.
     
    14
     
    Der Rothaarige erzählt, daß der Tatverdächtige seine Knarre gezogen und sich auf Thobane gestürzt habe. Nur sei letzterer nicht Thobane gewesen, sondern ein Unteroffizier vom OBS in Zivil. Der Tatverdächtige sei keine zehn Meter weit gekommen, als Scheinwerfer auf ihn niederprasselten. »Polizei!« habe es aus einem Lautsprecher geschallt. »Du bist umzingelt. Wirf deine Waffe weg, und leg dich auf den Boden.« Da habe der Flüchtige auf einen Scheinwerfer geschossen und sei vom falschen Thobane am Bein getroffen worden. Als er fliehen wollte, habe er, der Rothaarige, sich ihm in den Weg gestellt. »Er oder ich«, habe er sich gesagt. »Als ich sah, daß er auf mich zielte, habe ich geschossen.«
    Als ich zehn Minuten nach dem Schußwechsel am Ort des Geschehens eintraf, klopften sich die Spürhunde vom OBS noch immer voller Stolz auf ihren Coup auf die Schulter. Ein Rundumblick über den Kriegsschauplatz genügt, um mir die Plattheit der Inszenierung vor Augen zu führen: Es stinkt geradezu nach einer schnell hingepfuschten Falle. Sogar ein Krankenwagen steht schon bereit, was beweist, daß er gar nicht erst gerufen werden mußte. Ich trete an die Leiche heran. Sie hat wahrhaftig einen gespaltenen Schädel und eine 9-mm-Beretta in der Faust.
    Es ist weit nach Mitternacht, und ich frage mich, worauf man noch wartet, um den Parkplatz abzusperren und mit den Ermittlungen zu beginnen. Das Überfallkommando scheint es nicht eilig zu haben, die Sache ernsthaft in die Hand zu nehmen, und die Krankenpfleger sitzen bei offenen Türen im Krankenwagen und rauchen in aller Ruhe.
    Ich bleibe vor der Leiche stehen, die Hände in den Taschen. Ein zweiter Rundumblick bestätigt mir, daß sich unser Tatverdächtiger für seinen Auftritt den allerschlechtesten Ort ausgesucht hat. Hinter der Plakatwand hätte sich nicht einmal ein Kind verstecken können. Und die Scheinwerfer rund um den Parkplatz wären selbst einem Kurzsichtigen aufgefallen.
    »Hallo, Llob«, bläst mir Hauptmann Youcef in den Nacken.
    »Tolle Beute«, sage ich zu ihm.
    »In der Tat. Warst du in der Kneipe?«
    »Ich war hier in der Gegend.«
    »Und jetzt willst du uns gratulieren.«
    »Ja, saubere Arbeit. Fast wie bei der Übung.«
    Hauptmann Youcef zieht eine Augenbraue hoch, als wittere er irgendeine Attacke. Ein tüchtiger, ja sogar gefährlicher Kerl. In den Jahren der Eiszeit mit Marokko

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