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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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Lebensmittelgeschäft mit einer heruntergekommenen Auslage und einem dreckigen Milchladen, aus dem sich dickflüssige Tentakel auf die Straße ergießen, ist das Geschäftsleben eingeschlafen. Den wenigen Passanten, die es hierhin verschlägt, treten vor Hunger die Augen aus den Höhlen. Sie verarmen schneller, als ihre Erwartungen dahinschwinden. Als junger Polizist war ich oft in dieser Ecke. Damals bekamen in der Zentrale nämlich nur der Direktor und seine Gäste Kaffee, das Fußvolk hatte noch nicht mal Anspruch auf ein Glas Wasser. In der Kantine gab's einen abscheulichen Fraß, weswegen man sich ins nächstbeste billige Lokal stürzte, sobald der Chef vom Dienst den Rücken gekehrt hatte. Ich mochte diese Spelunken nicht. Ich ließ das Mittagessen meist aus und kam hierher, um mit den Mädchen zu flirten. Niemand nahm einem das übel. Alle, ob alt oder jung, waren damals ausgelassen. Irgendwann bestellte ich einen starken Kaffee, den ich nie bezahlte. Jedesmal wenn ich die Rechnung verlangte, wehrte der Kellner ab und bedeutete mir, daß ein Unbekannter sie bereits beglichen habe. Ach, Dzai'r, Algier, mein Bled, es ist zum Heulen, wie du dich verändert hast. Wir waren eine einzige große Familie und brauchten keinen Trauring, um einander näherzukommen. Die Leute hatten Achtung voreinander, ich würde sogar sagen, sie empfanden Zuneigung füreinander, und ihre Großzügigkeit kam anderen Gedanken mitunter zuvor. Es war, als .
    »Kommissar Llob?«
    Inspektor Serdj steht vor mir, nimmt mir die Sonne und verdirbt mir die ohnehin seltenen Augenblicke der Ruhe.
    »Was gibt's denn nun schon wieder?«
    »Es gibt was Neues.«
    »Ich höre.«
    »Nicht hier, Kommissar. Wenn Sie wollen, vertreten wir uns ein bißchen die Beine.«
    Ich werfe zwei Geldstücke auf den Tisch und folge ihm. Wir gehen schweigend bis zur Hauptstraße, wo er mir schließlich mitteilt: »Die Typen vom OBS haben gestern einen Tatverdächtigen zur Strecke gebracht.«
    »Ich bin auf dem laufenden.«
    Als er die Augenbrauen hochzieht, erkläre ich ihm:
    »Ich war in der Gegend, als ich Schüsse hörte.«
    »Haben sie dir gesagt, wen sie da umgelegt haben?«
    »Ich hoffe, darüber kannst du mich aufklären.«
    Serdj kratzt sich an der Schläfe. »Es war der Namenlose ...«
    »Was?«
    »Man hat ihn heute morgen identifiziert.«
    Ich weiß nicht, was mich auf einmal packt. Ich lasse den Inspektor stehen und laufe wie ein Besessener zum Auto.
     
    »Monsieur El-Ouahch empfängt im Moment niemanden.« Ghali Saad zeigt sich äußerst gereizt, als er mich ohne Einreisevisum in seinem Reich auftauchen sieht.
    »Haj Thobane ist bei ihm. Sie sind alle beide nicht in Stimmung. Gestern abend wurde ein Tatverdächtiger von unseren Leuten abgeknallt. Es handelt sich um den Lebenslänglichen, der vor knapp einem Monat in den Genuß der Präsidentenamnestie gekommen ist. Was sich nebenan im Büro abspielt, gleicht einem Alptraum. Thobane fordert vom Chef Erklärungen, denn der hat die Nationale Kommission für die jüngsten Haftentlassungen geleitet.«
    Ich starre auf die Polstertür, die ich am liebsten eintreten würde. Ein ganzer Trommelwirbel hämmert gegen meine Schläfen.
    Ghali Saad sieht sich meinen Zorn ohne sonderliche Erregung an. Er sitzt hinter seinem Schreibtisch, die Hände auf der Unterlage gefaltet, ganz Herr seiner selbst. Seine blauen Augen halten meinem Blick lässig stand.
    »Die Situation spitzt sich in der Tat immer weiter zu«, stellt er fest. »Wir müssen jetzt einen kühlen Kopf bewahren, wenn wir ihn nicht verlieren wollen. Heute morgen hat sich ein Donnerwetter über dem BI entladen, nachdem man den Kerl identifiziert hatte. Zuerst der Minister. Er war noch vor dem Wachtposten da. Ich kann dir sagen . Dann der Chef, der hat sich die Haare gerauft. Als Thobane kam, hab ich gedacht, jetzt geht die Welt unter. Wenn ich dir einen Rat geben darf, dann geh an deinen Arbeitsplatz zurück, und bete so inbrünstig, wie du nur kannst. Denn es dauert nicht mehr lange, dann wird man auch dich in die Mangel nehmen. In einem Bericht steht, daß du für den fraglichen Verbrecher seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis einen Überwachungstrupp eingesetzt hast. Ohne ausdrückliche Genehmigung oder Anweisung. Und sogar ohne irgendeinen Oberen davon in Kenntnis zu setzen. Warum? Ich hoffe, du hast eine stichhaltige Antwort parat, um diese dumme Eigenmächtigkeit zu rechtfertigen. Wenn nicht, dann sitzt du bald im selben Boot wie dein Lieutenant:

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