Nacht über Algier
gebracht«, sagt der Gorilla. »Seit seiner Aufnahme hat ihn niemand angerührt.«
Ich koche vor Wut, versuche jedoch ruhig Blut zu bewahren. Hier einen Aufriß zu machen und damit meine Absichten zu verraten kommt nicht in Frage, ich befinde mich in Feindesland.
Ich knie mich zu meinem Mitarbeiter hinunter, ziehe langsam die schmutzstarrende, dünne Decke weg, in die er sich eingewickelt hat, um sich ein klein wenig zu wärmen. Man hat ihm sein Hemd und seinen Pullover ausgezogen und ihm nur eine Sträflingshose gelassen, aus der die dreckigen, nackten Füße hervorgucken, ein solch trauriger Anblick, daß einem das Herz im Leib gefriert. Sein ausgemergelter Körper ist von Striemen und eitrigen Schürfwunden überzogen.
Lino erkennt mich nicht. Er versucht vergebens die Augen zu öffnen. Seine Nasenlöcher sind blutverkrustet. Er hebt seine zerquetschte Hand, kann sie aber nicht bis zu mir ausstrecken, und so nehme ich sie und drücke sie an meine Brust.
»Ich bin's. Siehst du, ich hab dich endlich gefunden.«
Ich spüre, wie Lino versucht, sich zu bewegen, doch es strengt ihn zu sehr an. Für einen Moment müht er sich ein Lächeln ab, um mir zu verstehen zu geben, wie sehr er sich freut, mich wiederzusehen, aber da bluten die Wunden an seinem Mund schon wieder.
»Du bist zu kaputt, mein Junge. Schon deine Kräfte.«
Dine steht wie versteinert da. Er ist sicherlich auf einiges gefaßt gewesen, aber das, was sich ihm jetzt bietet, übersteigt seine schlimmsten Befürchtungen.
Mit einer Kopfbewegung bitte ich ihn, mich mit meinem Lieutenant alleinzulassen.
»Ich bin am Ende des Korridors«, murmelt er beim Hinausgehen.
Das Bulldoggengesicht dagegen rührt sich nicht vom Fleck.
»Ich werde ihn schon nicht wegschleppen«, sage ich zu ihm.
Er denkt drei Sekunden nach, kneift seinen Mund noch mehr zusammen und verschwindet, Dines Beispiel folgend, aus meinem Blickfeld.
»Sie haben mich schön zugerichtet, stimmt's, Kommy?« schluchzt Lino.
»Ja, sie haben's dir ganz schön gegeben.«
Sein Dienstgrad hat ihm nichts genützt. Ob Minister oder Lastträger, ob graue Eminenz oder unscheinbares Licht, wer in Algerien in den Kerkern der Geheimdienstler landet, wird systematisch zu einem ganz gewöhnlichen Putzlappen erniedrigt. Man nimmt ihm seine Würde, um ihn besser auf das Schlimmste vorzubereiten, und zieht ihn so lange durch den Schmutz, bis der Tod eintritt. Und kommt er wie durch ein Wunder davon, kehrt er nur in die Freiheit zurück, um diejenigen nachdenklich zu stimmen, die sich gegenüber dem Regime gern als Klugscheißer aufspielen.
»Was für einen Tag haben wir?« fragt der Gemarterte mit zittriger Stimme.
»Wir haben bald den Tag des Herrn.«
Er versucht sich aufzusetzen, läßt sich aber schnell wieder auf seinen Strohsack fallen. Ich lege die Arme um ihn und richte ihn behutsam auf; sein Atem bahnt sich nur mühsam einen Weg, und die schmerzvollen Zuckungen verzerren sein verunstaltetes Gesicht zu einer Fratze.
»Sie wollten mich wie einen Furunkel zwischen den Fingern zerquetschen.«
»Beruhige dich.«
Die Wut läßt seine Wunden zittern. Er zieht die Schultern ein und fängt an zu weinen. Wenn das Bulldoggengesicht in ebendiesem Moment aufgetaucht wäre, um nachzusehen, was los ist, hätte ich ihm mit einem Zahnstocher die Augen ausgestochen. Aber niemand kommt uns stören.
»Ich hol dich hier raus, Lino.«
»Ich halte nicht mehr lange durch.«
»Du wirst mich doch nicht enttäuschen.«
Er wird von einem Hustenanfall geschüttelt. Suchend streckt er seine Hand aus und umklammert mein Handgelenk.
»Ich habe den Durchblick verloren«, gestehe ich. »Du mußt mir helfen. Ich muß wissen, was mit dir neulich nacht los war. Wo warst du, was hast du an diesem Abend angestellt, und wie hast du deine Waffe verloren? Du mußt dich an ein Detail erinnern, und wenn es noch so unbedeutend ist, an etwas, das uns irgendwie weiterbringt. In der Nacht von Donnerstag zu Freitag bist du bestimmt in einer Kneipe gewesen, du warst sternhagelvoll, als sie dich festgenommen haben.«
»Stimmt es, daß sie den Tatverdächtigen abgeknallt haben?«
»Ja, es stimmt.«
»Vielleicht ist das nur ein Bluff.«
»Ich war da und habe ihn gesehen, aus allernächster Nähe erschossen. Ich hab ihn nicht sofort erkannt, denn er trug keinen Bart mehr und hatte kurzgeschnittene Haare, aber man hat ihn eindeutig identifiziert. Es ist der Namenlose.«
»Ich hab den Typen nie gesehen. Jedesmal wenn ich zur Wache
Weitere Kostenlose Bücher