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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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gesehen.«
    »Doch, es stimmt. Ich habe seine Spur gefunden.«
    Der Bürgermeister zuckt mit den Schultern. »Und was ändert das?«
    »Allerhand.«
    »Na, dann holen Sie ihn rein!«
    Er glaubt mir nicht, oder aber er versucht mir weiszumachen, daß ihn der ganze Wirbel um diese Geschichte kaltläßt, da er nichts auf dem Gewissen hat.
    »Was könnte diesen Jungen Ihrer Ansicht nach zur Flucht getrieben haben, Monsieur Khaled, wenn es sich doch nur um einen einfachen Umzug handelte?«
    »Ich gebe zu, daß ich darauf keine Antwort weiß. Aber man hat den Jungen nicht wiedergefunden, und nichts beweist, daß das nicht Hirngespinste von Feinden der Revolution sind, die mit allen Mitteln versuchen, Zweifel in den Köpfen zu säen und unsere ruhmvolle Geschichte in den Schmutz zu ziehen.«
    »Ich habe ihn wiedergefunden.«
    »Das haben vor Ihnen auch schon andere behauptet. Im Zusammenhang mit dieser Affäre wurde schon soviel herumphantasiert! Wir hier in Sidi Ba sind davon überzeugt, daß irgendwelche Miesmacher die Geschichte von dem kleinen Belkacem Talbi erfunden haben, um dem Ansehen Haj Thobanes zu schaden.«
    »Was hat das mit Haj Thobane zu tun?«
    »Haj Thobane ist der Linkshänder.«
    Ich hole mein kleines Notizbuch raus und kritzle eilig hin: Haj Thobane = der Linkshänder? Zugegebenermaßen ein dilettantisches, ja unübliches Gebaren für einen Polizisten, der normalerweise seinem Instinkt folgt, doch so kann ich meine Sprachlosigkeit besser verbergen.
    »Aber wer wird denn schon einen Nationalhelden antasten wollen?«
    »Die Revolution bringt nicht nur anständige Männer hervor, Kommissar. Die internen Auseinandersetzungen, die unsere Reihen schon während des Krieges gelichtet haben, setzen sich bis heute fort. In ein und derselben Partei verachtet man sich und schmiedet Komplotte gegeneinander. Wer Erfolg hat, ist suspekt. Und der Linkshänder hat Erfolg. Er versammelt eine ganze Schar von Neidern und Verleumdern hinter sich. Sie versuchen seinen Mythos zu zerstören, seine Vergangenheit zu beschmutzen, ihm sein Charisma abzusprechen. In Sidi Ba löst das Betroffenheit aus. Damit entstellen sie gewissermaßen unser Symbol, verstehen Sie? Haj Thobanes Großzügigkeit kennt keine Grenzen. Jeder einzelne in Sidi Ba verdankt ihm die Grundlage seines Wohlstands. Durch ihn hat unser Douar die wirtschaftliche Flaute überwunden und ist dabei, eine Stadt zu werden, ja vielleicht sogar Hauptstadt der Wilaya. Böse Zungen reden von Provinzialismus und Vetternwirtschaft. Sie finden, daß unser Held zu reich, zu geldgierig und zu herrschsüchtig ist. Das stimmt nicht. Haj Thobane ist ein feiner Mensch. Ich persönlich verehre ihn.«
    Ich nehme mein Glas Tee, schnuppere daran und setze es wieder ab, ohne davon zu trinken. Der Bürgermeister ist beleidigt, läßt sich aber nichts anmerken. Ich zünde mir eine Zigarette an, schaue den Rauchfäden nach, die an die Decke ziehen.
    »Auf welche Weise sollte die Geschichte eines Jungen das Bild von Haj Thobane in den Schmutz ziehen, Monsieur Khaled?« herrsche ich ihn an. »Gibt es einen Zusammenhang zwischen den Talbis und unserem Helden?«
    Meine ketzerischen Fragen bringen ihn nicht aus der Ruhe. Um Zeit zu gewinnen, gießt er sich Kaffee ein. Dann sagt er:
    »Weil Haj Thobane, der Linkshänder, während des Krieges das militärische Kommando über die Region hatte, versucht man, ihm alle Pannen und alle krummen Geschichten, die sich hier abgespielt haben, anzuhängen. Da haben Sie den Zusammenhang! Alles Lüge! Der Krieg ist vorbei, Monsieur Llob. Was geschehen ist, ist geschehen. Ob man das nun bedauert oder nicht, daran ist nicht zu rütteln. Wir wollen einen Schlußstrich unter dieses Kapitel ziehen und das Land aufbauen. Und kein Ammenmärchen sollte uns daran hindern. Doch wenn Sie sich unbedingt selbst von der Richtigkeit meiner Worte überzeugen wollen, bitteschön. Aber passen Sie auf, man ist hier äußerst empfindlich.«
    Obwohl sich der Bürgermeister bemüht, gelassen zu bleiben, hört seine Hand nicht auf zu zittern.
    »Wollen Sie heute abend nicht zum Essen zu mir kommen? Dann reden wir noch mal mit klarem Kopf über alles. Ich habe eine Menge Verwaltungsakten durchzuarbeiten im Moment. Dieses Amt frißt mich noch auf.«
    »Bedaure, aber ich habe ein Cholesterin-Problem.«
    Auf dem Flur warten die beiden Schlitzohren von vorhin, bis ich weg bin, ehe sie an ihren Platz beim Bürgermeister zurückkehren. Der Fülligere von beiden setzt ein Lächeln auf, das

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