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Nacht über Algier

Nacht über Algier

Titel: Nacht über Algier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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Ghanems, die hatten einen Viehbestand von mehreren tausend Stück. In einer einzigen Nacht, keine Spur, kein Lebenszeichen mehr. Wie in Luft aufgelöst. Die Leute hier ahnen, was mit ihnen passiert ist, aber sie haben Angst, darüber zu reden. Haben Angst, daran zu denken. Haben Angst, sich daran zu erinnern. In den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit hat es ähnliche Fälle von Verschollenen gegeben. Keine Reichen, einfach nur Menschen, die herausfinden wollten, was sich in jener Nacht vom 12. zum 13. August 1962 zugetragen hatte. Sie wurden nie wieder gesehen. Aber ich, was hab ich schon zu verlieren? Ich habe keine Kinder, und meine Frau hat mich vor mehr als zwanzig Jahren verlassen. Ich führe nur noch eine Scheinexistenz, hätte im Maquis abkratzen sollen. Das ist kein Leben mehr. Und wenn ich jetzt sterbe, dann wenigstens für eine gute Sache. Ich wäre das glücklichste Schlachtopfer, wenn ich Haj Thobane, diesen Schweinehund, zur Strecke bringen könnte. Sein Finanzimperium ist die Frucht jener nächtlichen Säuberungsaktion vom August 1962, dafür lege ich meine Hand ins Feuer.«
    »Ganz schön stark, was du da behauptest.«
    »Es ist nichts, verglichen mit dem, was er getan hat.«
    »Hast du ihn persönlich gekannt?«
    »Und ob!«
    »Glaubst du, daß er direkt in diese Geschichte verwickelt ist?«
    »So direkt, wie nur der Teufel es sein kann.«
    »Man läßt doch nicht ganze Familien verschwinden, bloß um sich ein bißchen zu bereichern. Da muß noch etwas anderes dahinterstecken, sonst hätten sich die Zungen mittlerweile gelöst.«
    »Es handelte sich um sehr wohlhabende Leute, deshalb hat man sie liquidiert. Nach der Befreiung wollte man aus der Scheiße raus. Die Thobanes waren bettelarm. Vor Ausbruch des Krieges krepierten sie fast vor Hunger. Der Vater schuftete als Stallbursche bei den Lapaires. Es heißt, ein tollwütiges Pferd habe ihn totgetrampelt. Der Sohn, Haj Thobane, arbeitete als Hirte bei den Ghanems. Er schlich oft um die Kasernen, um ein paar eiserne Rationen zu ergattern. So hat der Krieg für ihn angefangen. Er freundete sich mit muslimischen Soldaten an, und zusammen überfielen sie aus dem Hinterhalt einen Laster mit Verpflegung. Ein Geniestreich, der die Versorgung des ganzen Maquis sicherte und dazu noch sieben getötete Soldaten brachte. Der Linkshänder wurde mit einem Paukenschlag zur Legende. Und er wurde absoluter Herrscher über die gesamte Region. Nach dem Krieg machte er daraus sein privates Sultanat. Er hat sich die Ländereien von Kai'd Allal, die Ölpressen der Bahass' und das Vieh der Ghanems angeeignet, und niemand fand, daß er es zu weit trieb. War er nicht der Retter von Sidi Ba?«
    »Und was für einen Besitz hatten die Talbis?« fragt Soria.
    »Da rühren Sie an den wunden Punkt in der Geschichte, Madame. Soweit ich weiß, waren die Talbis ruiniert. Sie lebten am Rand der Armut. Es stimmt, daß Ameur als Buchhalter bei den Lapaires arbeitete, aber er verdiente nicht genug. Niemand hier kann sich darauf einen Reim machen, warum man sie in der Nacht vom 12. August abholte. Denn Talbi gehörte weder zum einen noch zum anderen Lager. Er hatte eine behinderte Frau, und seine Sprößlinge waren krank, deshalb ließ man ihn in Ruhe. Möglicherweise gibt es eine Person, die euch Aufschluß geben könnte: Rachid Debbah, ehemaliger Schlächter der Revolution und heute Gewohnheitstrinker. Er lebt zurückgezogen im Wald. Er ist pleite, schiebt ihm also ein paar Scheine rüber, dann gibt er sich vielleicht ein bißchen Mühe, seinen Grips anzustrengen.«
    »Kannst du uns zu ihm bringen?«
    »Selbstverständlich. Aber ich müßte erst mit ihm reden. Er kann sehr mißtrauisch und starrköpfig sein.«
    »Er bekommt so viel, wie er verlangt«, sagt Soria.
    Zoubir steht auf, um sich zu verabschieden.
    »Wenn ihr mir versprecht, eure Nachforschungen bis zum Schluß durchzuführen, gehe ich auf der Stelle zu ihm. Und dann werdet ihr ihn morgen frisch und munter bei mir antreffen. Ich wohne zehn Kilometer von Sidi Ba entfernt, an der Autobahn nach Medea. Ihr könnt meine Bruchbude nicht verfehlen, sie ist von der Straße aus zu sehen. Ich warte dort mit Rachid auf euch.«
    »Um neun?« schlage ich vor.
    »Nicht so früh. Rachid steht nicht vor Mittag auf. Sagen wir, vierzehn Uhr.«
    Ich reiche ihm dankbar die Hand. »Bis morgen also, Punkt vierzehn Uhr!«
    Er hält seine Hand zurück.
    »Wir geben uns erst die Hand, wenn wir diese Dreckskerle erledigt haben. Nicht vorher. Ich

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