Nacht über Algier
Augen glänzen wie Juwelen. Die Kordhose sitzt wie angegossen . Diese Dame hindert mich daran, mich zu konzentrieren; ich stelle fest, daß ich ein paar Nächte hintereinander nicht an Mina gedacht habe.
Beim nächsten Mal, das schwöre ich mir, nehme ich keine Frau mehr auf solche Touren mit.
»Würde es dich stören, wenn sie dabei ist?« frage ich meinen Gast. »Das ist meine Kollegin, und unser Gespräch interessiert sie genauso wie mich.«
»Warum sollte mich das stören? Ich bin doch kein Macho.«
Ich danke ihm und bitte ihn, auf meinem Bett Platz zu nehmen. Soria setzt sich auf den einzigen Stuhl im Zimmer, ich selbst lehne mich gegen die Tischkante.
»Laßt euch von diesem Arschloch von Bürgermeister nicht einschüchtern«, empfiehlt uns der Habenichts. »Hat eine große Fresse, aber nicht mehr Bildung als ein Eseltreiber. Wenn es ums Geldzählen geht, dann würde er einem Taschenrechner den Rang ablaufen. Aber er ist unfähig, auch nur einen Dienstvermerk abzufassen.«
»Er scheint aber ganz gut zurechtzukommen.«
»Ein schlauer Fuchs. Alles, was er von sich gibt, hat er sich von offiziellen Reden abgeguckt. Er hat nie den Fuß in eine Schule gesetzt, sag ich euch. Dreisprachiger Analphabet, der Bürgermeister, und er unterschreibt hemmungslos Papiere, die er überhaupt nicht lesen kann. Ich kenne ihn. Wir sind am selben Gebirgspaß aufgewachsen. Er war ein stinkender kleiner Rotzbengel, der sommers wie winters in denselben Lumpen rumlief und die Schäfereien im Umkreis von fünfzig Kilometern plünderte. Das war alles, was er konnte: Vieh stehlen, das er dann woanders weiterverkaufte. Ende 1961 wurde er aus dem Gefängnis entlassen. Am 19. März 1962, als die Unabhängigkeit bereits vor der Tür stand, hat er sich als einfacher Rekrut bei der ALN gemeldet. Der Schweinehund hatte gerochen, woher der Wind wehte, und ... er hat's geschafft.«
»Hatte er bei den Massakern an den Harkis seine Hand im Spiel?«
»Sicher. Das war das reinste Jagdvergnügen. Da haben alle mitgemacht.«
»Du auch?«
»Ich hatte nicht in der Gegend zu tun. Aber ich hab nicht den 19. März abgewartet, um zu den Waffen zu greifen. Ich gehörte zu den wenigen Gebildeten, die in den Maquis gegangen sind. Als Oberschüler hab ich meine Schule angezündet, bevor ich in den Krieg gezogen bin. 1957, wohlgemerkt. Ich bin zweimal verwundet worden.« Stolz zeigt er uns seine Male auf der Brust. »1960 war ich Offiziersanwärter, und dann wurde ich zum zweiten Kompaniechef in Melaab, in der Gegend von Ouarsenis, ernannt. Ich bin eine Woche nach den Massenhinrichtungen nach Sidi Ba zurückgekehrt. Und ich war dabei, als das mit den Talbis passierte.«
Soria rutscht nervös auf ihrem Stuhl hin und her.
»Ich heiße Zoubir, Madame, Tarek Zoubir. Sie sind Historikerin, nicht? Zumindest wird das in der Stadt erzählt.«
»Stimmt.«
»Ich will euch helfen. Man muß diesen Dreckskerlen unbedingt das Handwerk legen. Pflichtvergessene Beamte ohne Gewissen, gierige Wölfe sind das. Mit der ganzen Kohle, die sie zusammengerafft haben, richten sie weiter Unheil an. In der Franzosenzeit war diese Region die Kornkammer des Landes. Sie lieferte vierzig Prozent des Rind-, Pferde- und Hammelfleischs auf dem nordafrikanischen Markt. Weil ich versucht habe, das zu erhalten, wurde ich geschaßt und der Meute zum Fraß vorgeworfen. Schon 1970 habe ich die Alarmglocke geschlagen. Diese Region ist für die Weidewirtschaft geeignet, brachte ich immer wieder vor. Ein Unding, sie mit Fabriken zu verbauen und so ihren eigentlichen Charakter zu verfälschen. Ich habe einen Bericht aufgesetzt, handfest untermauert mit den Stimmen ausgezeichneter Fachleute. Aber es war nichts zu machen, Haj Thobane hat darauf bestanden, seine Heimat zu industrialisieren. Für ihn war das die eigentliche Befreiung. Er wollte den Berufsstand des Schafhirten abschaffen, weil er ihn an sein früheres Dasein erinnerte. Ich hab mich seinen Plänen widersetzt. Mit einem einzigen Fingerschnipsen hat er mich gefeuert und seiner Bande aufgetragen, mir das Leben schwerzumachen. Wenn ich heute am Boden liege, dann seinetwegen.«
»Könntest du uns vielleicht etwas über die Talbis erzählen?«
»Darauf komme ich gleich. Es gab nicht nur die Talbis bei dieser Geschichte. Als vermißt gelten auch Kai'd Allai und seine Familie. Sie hatten Ländereien in der ganzen Ebene. Und die Bahass', die haben das beste Olivenöl im ganzen Hochland hergestellt, auch sie - vermißt. Genau wie die
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