Nacht über den Wassern
paar Schinkensandwiches haben, meine Hübsche?«
»Aber gern«, antwortete sie höflich. Kellnerinnen mochten Mervyn.
»Ich war – ich habe mich in letzter Zeit so einsam gefühlt«, sagte Diana. »Ich habe nur ein bißchen Glück gesucht.«
»Glück gesucht! In Amerika – wo du keine Freunde hast, keine Verwandten, kein Zuhause… Wo hast du deinen Verstand gelassen?«
Sie war ihm dankbar, daß er gekommen war, aber sie wünschte sich, er wäre ein bißchen netter gewesen. Sie spürte Marks Hand auf ihrer Schulter. »Hör nicht auf ihn«, sagte er ruhig. »Warum sollst du nicht glücklich sein? Was ist daran auszusetzen?«
Ängstlich blickte sie zu Mervyn, befürchtete, ihn noch mehr zu kränken. Er könnte es sich immer noch überlegen und sie doch nicht zurückhaben wollen. Wie demütigend es wäre, wenn er sie vor Mark verstoßen würde (und das, dachte sie unwillkürlich, während die schreckliche Lulu Bell noch auf der Bildfläche ist). Er war dazu durchaus imstande, so etwas lag ihm. Jetzt wünschte sie sich, er wäre ihr doch nicht gefolgt, denn es bedeutete, daß er hier und jetzt eine Entscheidung treffen mußte. Mit etwas mehr Zeit hätte er seinen verletzten Stolz überwunden. So aber ging alles Hals über Kopf. Sie hob ihr Glas an die Lippen, dann setzte sie es ab, ohne getrunken zu haben. »Ich kann das jetzt nicht trinken«, erklärte sie.
»Wie wäre es mit einer Tasse Tee?« meinte Mark.
Das war genau, was sie jetzt wollte. »Ja, gerne«, sagte sie dankbar.
Mark ging zur Theke und bestellte.
Mervyn hätte das nie getan. Nach seiner Einstellung holten die Frauen den Tee. Er warf einen abfälligen Blick auf Mark. »Ist es das, was ich falsch mache?« fragte er zornig. »Ich bringe dir den Tee nicht, ist es das? Du möchtest, daß ich außer Brotverdiener auch noch Hausmädchen bin?« Seine Sandwiches kamen, aber er rührte sie nicht an.
Diana wußte nicht, was sie antworten sollte. »Ein Krach ist nicht nötig«, sagte sie leise.
»Ein Krach ist nicht nötig? Wann ist er dann nötig, wenn nicht jetzt? Du brennst mit diesem kleinen Scheißer durch, ohne mir Lebewohl zu sagen, hinterläßt bloß einen idiotischen Zettel…« Er zog ein Blatt Papier aus seiner Brusttasche, und Diana erkannte ihren Brief. Das Blut stieg ihr in den Kopf, und sie fühlte sich tief gedemütigt. Sie hatte Tränen über diesem Brief vergossen, wie konnte er ihn einfach in einem Pub herumschwenken? Sie rückte verärgert von ihm ab.
Der Tee kam, und Mark griff nach der Kanne. Er blickte Mervyn an und fragte: »Möchten Sie sich auch eine Tasse Tee von einem kleinen Scheißer einschenken lassen?« Die Iren in der Ecke lachten schallend, aber Mervyn funkelte ihn nur finster an und schwieg.
Dianas Ärger über Mervyn wuchs. »Ich mag vielleicht bescheuert sein, aber ich habe ein Recht auf ein bißchen Glück!« Hilflosigkeit und Zorn fraßen an ihr. Er war so völlig unnachgiebig, genausogut hätte sie versuchen können, einem Holzklotz etwas zu erklären. Warum konnte er nicht vernünftig sein? Weshalb war er bloß so verdammt überzeugt, daß er immer recht hatte und alle anderen unrecht?
Plötzlich wurde ihr bewußt, wie vertraut ihr dieses Gefühl war. Es hatte sie in den vergangenen fünf Jahren mindestens einmal die Woche fast zur Verzweiflung gebracht. Während der letzten Stunden und in ihrer Panik im Flugzeug hatte sie vergessen, wie schrecklich er sein konnte und wie unglücklich er sie manchmal machte. Nun kehrte alles zurück wie die Erinnerung an einen bösen Traum.
»Sie kann tun, was sie will, Mervyn«, erklärte Mark. »Sie können sie zu nichts zwingen. Sie ist erwachsen. Wenn sie mit Ihnen nach Hause zurück möchte, wird sie es tun; und wenn sie mit mir nach Amerika kommen und mich heiraten möchte, wird sie das tun.« Mervyn schlug mit der Faust auf den Tisch. »Sie kann Sie nicht heiraten, sie ist bereits mit mir verheiratet!«
»Sie kann sich von Ihnen scheiden lassen.«
»Mit welcher Begründung?«
»In Nevada braucht man keine Gründe.«
Mervyn wandte sich wütend an Diana. »Du wirst nicht nach Nevada fahren! Du kommst mit mir nach Manchester zurück!«
Sie blickte Mark an. Er lächelte ihr zärtlich zu. »Du brauchst niemandem zu gehorchen«, sagte er. »Tu, was du möchtest.«
»Zieh deinen Mantel an!« befahl Mervyn.
Auf seine unbesonnene Weise ermöglichte Mervyn es Diana, die Dinge wieder im richtigen Licht zu sehen. Sie erkannte plötzlich, daß ihre Furcht vor dem Flug und
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