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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Standlicht vermittelte nicht viel Helligkeit, aber im Vergleich zu der Finsternis zuvor erschien es ihr wie Tageslicht. Sie stellte fest, daß sie tatsächlich mitten auf der Straße stand, und hastete auf den Bürgersteig, um nicht angefahren zu werden. Sie befand sich auf einem Platz, der ihr vertraut vorkam. Der Wagen fuhr an ihr vorbei und bog um eine Ecke. Sie eilte ihm nach in der Hoffnung, irgend etwas Bekanntes zu sehen, an dem sie sich orientieren konnte. Als sie die Ecke erreichte, hatte der Wagen fast das Ende einer kurzen, schmalen Geschäftsstraße erreicht, in der sie einen Laden erkannte: die Modistin, bei der Mutter Kundin war. Margaret wurde bewußt, daß sie sich nur noch wenige Meter von Marble Arch entfernt befand.
    Vor Erleichterung hätte sie fast geheult.
    An der nächsten Ecke wartete sie wieder auf ein Auto, das ihr den Weg beleuchten würde, dann bog sie nach Mayfair ein.
    Wenige Minuten später stand sie vor dem Hotel Claridge. Natürlich war es ebenfalls verdunkelt, aber sie fand den Eingang und überlegte, ob sie hineingehen sollte.
    Wahrscheinlich hatte sie nicht genügend Geld für ein Zimmer dabei, aber sie erinnerte sich, daß man die Rechnung erst bezahlte, wenn man das Hotel verließ. Sie könnte ein Zimmer für zwei Nächte nehmen, am Morgen weggehen, als würde sie wieder zurückkommen, sich gleich beim A.T.S. aufnehmen lassen, dann das Hotel anrufen und bitten, die Rechnung an Vaters Anwalt zu senden.
    Sie holte tief Atem und schob die Tür auf.
    Wie die meisten öffentlichen Gebäude, die nachts geöffnet waren, hatte das Hotel eine zweite Tür anbringen lassen, wie bei einer Luftschleuse, damit man eintreten konnte, ohne daß das Licht nach draußen fiel. Margaret wartete, bis sich die äußere Tür hinter ihr geschlossen hatte, dann drückte sie die zweite auf und trat dankbar in das erleuchtete Foyer. Eine ungeheure Erleichterung erfüllte sie. Hier herrschte Normalität, der Alptraum war zu Ende.
    Ein junger Nachtportier döste hinter dem Empfang. Margaret hüstelte, woraufhin er zusammenzuckte und benommen aufblickte. »Ich brauche ein Zimmer«, sagte Margaret.
    »Mitten in der Nacht?«
    »Ich habe mich wegen der Verdunkelung verlaufen«, erklärte sie, »jetzt komme ich nicht mehr nach Hause.«
    Der Portier begann aufzuhorchen. »Kein Gepäck?«
    »Nein«, entgegnete Margaret schuldbewußt; da kam ihr ein Gedanke, und sie fügte hinzu: »Natürlich nicht- ich hatte schließlich nicht vor, mich zu verlaufen!«
    Er musterte sie mit merkwürdigem Blick. Er würde sie doch wohl nicht abweisen? Schließlich schluckte er, rieb sich das Gesicht und tat, als schaute er in dem Buch vor sich nach. Was war los mit diesem Kerl? Er überlegte kurz, dann klappte er das Buch zu und behauptete: »Es ist kein Zimmer mehr frei.«
    »Ah, kommen Sie, Sie müssen doch noch irgendein…«
    Er unterbrach sie und meinte augenzwinkernd: »Sie hatten wohl Streit mit Ihrem Alten?«
    Margaret glaubte sich in einem Alptraum. »Ich kann heute nacht nicht mehr nach Hause«, wiederholte sie eindringlich, da der Bursche sie anscheinend beim erstenmal nicht verstanden hatte.
    »Das ist nicht meine Schuld«, sagte er. Offenbar hielt er sich für geistreich, als er hinzufügte: »Beschweren Sie sich bei Hitler.«
    Er war ziemlich jung. »Wo ist Ihr Vorgesetzter?« fragte sie.
    Jetzt wirkte er beleidigt. »Bis sechs Uhr bin ich hier verantwortlich!«
    Margaret schaute sich um. »Dann werde ich wohl bis zum Morgen im Foyer sitzen müssen«, erklärte sie müde.
    »Das geht nicht!« rief der Portier erschrocken. »Ein junges Mädchen ohne Begleitung und ohne Gepäck nachts im Foyer? Das kann mich die Stellung kosten!«
    »Ich bin kein junges Mädchen!« sagte sie verärgert. »Ich bin Lady Margaret Oxenford.« In der Verzweiflung bediente sie sich ihres Titels, was sie sonst nur ungern tat.
    Aber das nutzte ihr nichts. Der Portier grinste unverschämt. »Was Sie nicht sagen.«
    Margaret wollte ihn schon anschreien, da fiel ihr Blick auf ihr Spiegelbild in der Glastür, und sie sah, daß sie ein blaues Auge hatte. Obendrein waren ihre Hände schmutzig, und ihr Kleid war zerrissen.
    Kein Wunder, sie war gegen einen Briefkasten geprallt und hatte im Zug auf dem Boden gesessen. Sie verstand jetzt, warum der Portier ihr kein Zimmer geben wollte. »Aber Sie können mich doch nicht in die Nacht hinausjagen!« protestierte sie verzweifelt.
    »Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig«, entgegnete der junge

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