Nacht über den Wassern
vollkommen überrascht, faßte sich jedoch in Sekundenschnelle und erwiderte ihren Kuß. Sein Kuß hatte nichts Zögerliches oder Lauwarmes an sich; er war sogleich Feuer und Flamme.
Eine Minute später löste sie sich atemlos von ihm und fragte ein wenig töricht: »Was war denn das?«
»Du hast mich geküßt«, gab er zufrieden lächelnd zurück.
»Dabei hatte ich das gar nicht vor.«
»Dann bin ich aber froh, daß du deine Meinung geändert hast«, sagte er und küßte sie wieder.
Sie hätte sich am liebsten von ihm gelöst, aber sein Griff war stark und ihr Wille schwach. Sie spürte, daß seine Hand unter ihren Morgenmantel glitt, und versteifte sich: Ihre Brüste waren so klein, daß sie sich schämte und fürchtete, er könne enttäuscht sein. Seine große Hand schloß sich um ihre kleine, runde Brust, und er stöhnte lustvoll. Seine Fingerspitzen tasteten nach der Brustwarze, und wieder schämte sich Nancy. Seit sie die beiden Jungen gestillt hatte, waren ihre Brustwarzen riesengroß. Mit ihren kleinen Brüsten und den Riesenbrustwarzen kam sie sich irgendwie merkwürdig, ja beinahe verunstaltet vor. Aber Mervyn zeigte nicht die geringste Spur von Abscheu, ganz im Gegenteil. Er liebkoste sie mit unglaublicher Behutsamkeit, und sie genoß seine Zärtlichkeiten und gab sich ihnen hin. Das hatte sie lange entbehrt, sehr lange.
Was treibst du da? schoß es ihr durch den Kopf. Du bist schließlich eine ehrbare Witwe – und kullerst mit einem Mann, den du erst gestern kennengelernt hast, auf dem Boden eines Flugzeugs herum! Was ist bloß in dich gefahren?
»Nein!« sagte sie mit Entschiedenheit, entzog sich ihm und richtete sich kerzengerade auf. Ihr Neglige war über die Knie gerutscht, und Mervyn streichelte ihren entblößten Oberschenkel. »Nein«, wiederholte sie und schob seine Hand weg.
»Wie du willst«, sagte er, obwohl es ihm offensichtlich schwerfiel, von ihr abzulassen. »Aber wenn du es dir anders überlegst, bin ich bereit.«
Sie warf einen Blick auf seinen Schoß, bemerkte die vielsagende Erhebung unter seinem Nachthemd und wandte rasch den Blick wieder ab. »Es war meine Schuld«, sagte sie, noch immer ein wenig außer Atem nach dem Kuß. »Aber es ist nicht richtig. Ich habe mich wie ein Flittchen aufgeführt, ich weiß. Es tut mir leid.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, gab er zurück. »So etwas Schönes ist mir seit Jahren nicht mehr passiert.«
»Aber du liebst doch deine Frau, oder?« fragte sie ihn geradeheraus.
Er zuckte zusammen. »Das dachte ich auch. Aber jetzt bin ich völlig durcheinander, um ganz ehrlich zu sein.«
Genauso fühlte Nancy sich auch: völlig durcheinander. Nach zehnjähriger Enthaltsamkeit drängte es sie plötzlich mit Macht, einen Mann zu umarmen, den sie kaum kannte.
Natürlich kenn‘ ich ihn, dachte sie. Ich kenne ihn sogar sehr gut. Ich bin weit mit ihm gereist, und wir haben einander von unseren Sorgen erzählt. Ich weiß, daß er arrogant, nicht sehr umgänglich, stolz, aber auch leidenschaftlich, treu und stark ist. Ich mag ihn trotz seiner Fehler, ich habe Respekt vor ihm. Außerdem ist er schrecklich attraktiv, selbst im gestreiften braunen Nachthemd. Und als ich Angst hatte, hielt er meine Hand. Wie schön wäre es, wenn es jemanden gäbe, der mir jedesmal, wenn ich Angst habe, die Hand hält.
Als hätte er ihre Gedanken erraten, griff Mervyn wieder nach ihrer Hand, drehte sie um und drückte einen Kuß auf die Innenfläche. Er brachte ihre Haut zum Kribbeln. Kurze Zeit später zog er sie an sich und küßte sie wieder auf den Mund.
»Tu das bitte nicht«, hauchte sie. »Wenn wir noch einmal anfangen, können wir bestimmt nicht mehr aufhören.«
»Ich fürchte eher, daß wir nie wieder anfangen werden, wenn wir jetzt aufhören«, murmelte er mit heiserer Stimme, aus der sein ganzes Verlangen sprach.
Nancy spürte eine gewaltige, nur noch mühsam kontrollierte Leidenschaft in ihm, und das erregte sie noch mehr. Sie hatte viel zu viele Bekanntschaften mit schwächlichen, gefälligen Männern gehabt, die von ihr Zuspruch und Sicherheit erwarteten, Männer, die nur allzuschnell nachgaben, wenn sie ihre Forderungen zurückwies. Mervyn war bestimmt hartnäckig, sehr, sehr hartnäckig. Er begehrte sie, und er wollte sie jetzt gleich, und sie sehnte sich danach, ihm zu Willen zu sein.
Sie spürte seine Hand auf ihrem Bein unter dem Neglige, fühlte seine Fingerspitzen auf der zarten Innenseite ihrer Schenkel. Sie schloß die Augen und
Weitere Kostenlose Bücher