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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Glassplitter herum; es herrschte das reine Chaos. Zum Glück waren nur wenige Speisen verschüttet worden. Zum Zeitpunkt der Notwasserung war die Mahlzeit fast beendet gewesen; man hatte gerade den Kaffee gereicht. Beim Anblick von Vincinis Pistole verstummten die Leute. Captain Baker stand hinter Vincini und sagte: »Meine Damen und Herren, ich bitte um Entschuldigung für diesen Vorfall, aber wenn Sie auf Ihren Plätzen bleiben und sich ruhig verhalten, wird alles bald vorüber sein.« Er klang dermaßen überzeugend und beruhigend, daß Eddie sich beinahe selbst besser fühlte.
    Er durchquerte Abteil drei und betrat Abteil vier, in dem Ollis Field und Frankie Gordino nebeneinandersaßen. Da wären wir also, dachte Eddie, und ich werde jetzt einen Mörder auf freien Fuß setzen. Er schob den Gedanken jedoch beiseite, deutete auf Gordino und sagte zu Vincini: »Da ist Ihr Mann.«
    Ollis Field erhob sich. »Irrtum. Dies hier ist FBI-Agent Tommy McArdle«, sagte er. »Frankie Gordino hat den Atlantik per Schiff überquert, ist gestern in New York angekommen und sitzt jetzt in Providence, Rhode Island, im Gefängnis.«
    »Herr im Himmel!« Eddie explodierte. Er war wie vom Donner gerührt. »Ein Blufft. Und dafür hab‘ ich das alles durchgemacht!« Nun würde er also doch keinem Mörder zur Flucht verhelfen, aber freuen konnte er sich darüber auch nicht. Er hatte furchtbare Angst vor der Reaktion der Banditen. Besorgt sah er Vincini an.
    Vincini sagte: »Mann, wir sind doch gar nicht hinter Frankie her. Wo ist der Kraut?«
    Eddie starrte ihn entgeistert an. Sie waren nicht hinter Gordino her? Was hatte das zu bedeuten? Wer war der »Kraut«?
    Tom Luthers Stimme kam aus Abteil drei. »Hier ist er, Vincini. Ich habe ihn schon.« Luther stand in der Tür und hielt Carl Hartmann eine Pistole an die Schläfe.
    Eddie verstand überhaupt nichts mehr. Warum, zum Teufel, wollte die Patriarca-Bande Carl Hartmann entführen? »Was wollt ihr denn mit einem Wissenschaftler?« fragte er.
    Luther sagte: »Der ist mehr als nur Wissenschaftler. Er ist Atomphysiker.«
    »Seid ihr alle Nazis?«
    »O nein.« Vincini lachte rauh. »Wir erledigen nur was für sie. In Wirklichkeit sind wir Demokraten.«
    Luther sagte kalt: »Ich bin kein Demokrat. Ich bin Mitglied des Bundes der Deutsch-Amerikaner.« Eddie hatte von jenem Bund gehört, einem angeblich harmlosen deutsch-amerikanischen Freundschaftsverein, der jedoch von den Nazis finanziert wurde. Und Luther fuhr fort: »Diese Leute hier sind nur angeheuert worden. Ich erhielt eine Botschaft vom Führer persönlich. Er bat mich, einen entflohenen Wissenschaftler dingfest zu machen und nach Deutschland zurückzubringen.« Eddie begriff, daß Luther stolz auf diese Ehre war. Dies war eine Sternstunde in seinem Leben. »Die Männer hier stehen in meinem Sold, und nun werde ich Professor Hartmann nach Deutschland zurückbringen. Das Dritte Reich bedarf seiner.«
    Eddie sah Hartmann an. Der Mann war vor Entsetzen kreidebleich, und Eddie überkamen Schuldgefühle. Man würde Hartmann ins nationalsozialistische Deutschland zurückbringen, und er war daran schuld.
    Er blickte zu Hartmann hinüber und stammelte: »Sie hatten meine Frau … Was hätte ich tun können?«
    Hartmanns Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig. »Ich kann Sie verstehen«, sagte er. »In Deutschland sind wir an solche Sachen gewöhnt. Man zwingt einen dazu, den einen Treueschwur zugunsten eines anderen zu brechen. Sie hatten gar keine andere Wahl. Machen Sie sich keine Vorwürfe.«
    Eddie bewunderte die Kraft des Mannes, der es fertigbrachte, in einem solchen Augenblick einem anderen Mut zuzusprechen.
    Er wandte sich an Ollis Field. »Aber wieso haben Sie einen Lockvogel an Bord gebracht?« erkundigte er sich. »Wollten Sie etwa, daß die Patriarca-Bande das Flugzeug entführt?«
    »Aber nein, nichts dergleichen«, gab Field zurück. »Wir haben erfahren, daß die Bande Gordino umbringen will, damit er nicht singen kann. Gleich nach seiner Ankunft in Amerika wollten sie zuschlagen. Deswegen haben wir das Gerücht in die Welt gesetzt, daß er mit dem Clipper kommt, und ihn per Schiff vorausgeschickt. In diesen Minuten bringt der Rundfunk die Nachricht, daß Gordino im Gefängnis sitzt, und die Bande wird erfahren, daß man sie an der Nase herumgeführt hat.«
    »Und warum bewachen Sie nicht Carl Hartmann?«
    »Wir wußten ja gar nichts von seiner Anwesenheit an Bord – kein Mensch hat uns davon etwas gesagt!«
    Reist

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