Nacht über den Wassern
daß sie sich auf dem Hotelkorridor getrennt hatten, mußte er nach Southampton gefahren sein, um den Clipper zu erreichen. Wie war er nur imstande gewesen, die ganze Zeit mit ihr zu verbringen, mit ihr zu plaudern und zu essen und sich über die bevorstehende Seereise zu unterhalten, während er sie die ganze Zeit über belog?
Tilly fragte: »Warum nimmst du nicht auch den Clipper?«
War es dazu zu spät? Peter hatte sicher alles sorgfältig geplant. Es mußte ihm klar sein, daß sie etwas unternehmen würde, sobald sie bemerkte, daß er nicht mit ihr aufs Schiff kam. Er hatte sicher versucht, alles so einzufädeln, daß sie ihn nicht einholen konnte. Aber Timing war nicht Peters Stärke, und er hatte vielleicht etwas übersehen.
Sie wagte es kaum zu hoffen.
»Ich werde es versuchen!« sagte Nancy entschlossen. »Auf Wiedersehen.« Sie hängte ein.
Dann überlegte sie. Peter war gestern abend von hier aufgebrochen und mußte nachts gereist sein. Der Clipper müßte demnach heute starten und morgen in New York sein, früh genug, daß Peter rechtzeitig zur Sitzung am Freitag in Boston sein konnte. Aber um wieviel Uhr würde der Clipper starten? Konnte sie bis dahin nach Southampton gelangen?
Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie zum Empfang eilte und den Chefportier fragte, um wieviel Uhr der Pan-American-Clipper von Southampton abflog.
»Den erreichen Sie nicht mehr, Madam«, sagte er.
»Sehen Sie nur die Abflugzeit nach.« Sie bemühte sich, die Ungeduld in ihrer Stimme zu unterdrücken.
Er holte ein Kursbuch hervor und schlug es auf. »Vierzehn Uhr.«
Sie blickte auf ihre Uhr. Punkt zwölf.
»Sie kämen nicht mehr rechtzeitig nach Southampton, selbst wenn Sie fliegen würden«, meinte der Portier lakonisch.
»Gibt es hier irgendwelche Flugzeuge?« So schnell gab sie nicht auf.
Sein Gesicht nahm den toleranten Ausdruck des Hotelangestellten an, der sich bemüht, einen unvernünftigen Ausländer bei Laune zu halten. »Zehn Kilometer von hier gibt es einen Flugplatz. Gewöhnlich findet man dort einen Piloten, der einen überallhin fliegt, wenn man bereit ist, tief in die Tasche zu greifen. Aber Sie müssen erst den Flugplatz finden, dann einen Piloten, auf dem Flugplatz bei Southampton landen und von dort zum Hafen kommen. Das ist in zwei Stunden nicht zu schaffen, glauben Sie mir.«
Frustriert drehte sie sich um.
Wütend zu werden nützte absolut nichts, das hatte sie im Geschäftsleben längst gelernt. Wenn etwas schiefging, mußte man eine Möglichkeit finden, es geradezubiegen. Nach Boston schaffe ich es nicht rechtzeitig, dachte sie, aber vielleicht kann ich den Verkauf von hier aus verhindern.
Sie kehrte zur Telefonzelle zurück. In Boston war es inzwischen nach sieben Uhr. Um diese Zeit war ihr Anwalt, Patrick »Mac« MacBride, bestimmt zu Hause. Sie gab der Vermittlung seine Nummer.
Mac war, wie ihr Bruder hätte sein sollen. Als Sean starb, war Mac sofort gekommen und hatte sich um alles gekümmert: Leichenschau, Bestattung, Testament und Nancys private Vermögenslage. Er war wundervoll zu den Jungs gewesen, hatte sie zu Baseballspielen mitgenommen, war zu Schulaufführungen gekommen, an denen sie teilnahmen, und hatte sie beraten, als es um das richtige College und die späteren Berufsaussichten ging. Als ihr Vater starb, hatte Mac Nancy davon abgeraten, Peter die Firmenleitung zu übertragen; sie hatte sich nicht an seinen Rat gehalten, und nun bewiesen die Ereignisse, daß Mac recht gehabt hatte. Sie wußte, daß Mac sie heimlich liebte. Doch es war keine Zuneigung, die ihr angst machen mußte. Mac war ein gläubiger Katholik und seiner unscheinbaren Frau ein ebenso treuer Ehemann wie diese ihm eine treue Gattin. Nancy mochte ihn sehr, aber er war nicht der Typ Mann, in den sie sich je hätte verlieben können. Er war weich und rundlich, mit gutmütigem Wesen und einer Glatze. Sie aber fühlte sich nur von Männern mit starkem Willen und dichtem Haar angezogen: Männern wie Nat Ridgeway.
Während sie auf die Verbindung wartete, dachte sie über die Komik ihrer Situation nach. Peters Mitverschwörer gegen sie war Nat Ridgeway, der ehemalige Geschäftsführer ihres Vaters – und ihre alte Flamme. Nat hatte die Firma und Nancy verlassen, weil er nicht der Chef sein konnte; und jetzt, in seiner Position als Präsident von General Textiles, versuchte er wieder, die Leitung von Black‘s Boots AG zu übernehmen.
Sie wußte, daß Nat wegen der Winterkollektion in Paris gewesen war, obwohl
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