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Nacht über der Menschheit

Nacht über der Menschheit

Titel: Nacht über der Menschheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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frage ich.
    Nein, sagt er, niemals.
    Ich glaube ihm nicht, fange aber nicht an zu weinen, weil ich nicht will, daß er erfährt, wie er mir Angst einjagen kann. Was ist mit Vater? sage ich. Hol ihn zu mir.
    Vater wird auch nicht mehr zurückkommen, sagt er.
    Ich glaube dir nicht, sage ich. Ich mag dich nicht, Onkel. Ich hasse dich.
    Er schüttelt den Kopf und hustet. Es ist besser, du lernst es, mich zu mögen, sagt er. Außer mir hast du niemanden mehr.
    Ich verstehe ihn nicht, aber es gefällt mir nicht, was er sagt. Ich strampele die Decken weg, aus dem Bett hinaus, und er hebt sie auf. Ich stoße sie wieder hinunter, und er schlägt mich.
    Dann beugt er sich schnell herunter und küßt mich, aber er riecht nicht richtig, und ich fange an zu weinen. Es regnet. Ich will Mama haben, schreie ich, aber Mama kommt nicht. Nie wieder.
    (Falk verstummte einen Augenblick und schloß die Augen. »War sie tot?« fragte Cullinan.)
    (»Sie war tot«, sagte Falk. »Sie und Vater kamen bei einem Flugzeugunglück auf dem Rückweg von den Ferien in Bangkok um. Ich war damals vier. Mein Onkel zog mich groß. Wir kamen nicht besonders gut miteinander aus, und als ich vierzehn war, steckte er mich auf die Akademie. Ich blieb dort vier Jahre, belegte zwei weitere Jahre bis zum graduierten Techniker, ging dann zu Terra Imports. Zwei Jahre Dienst auf Denufar, dann wechselte ich auf Commander Warshows Schiff Magyar, wo ...«)
    (Er verstummte abrupt. Cullinan sah zu Warshow und sagte: »Jetzt ist er in Fahrt, wir kommen der Sache näher.« Er wandte sich an Falk. »Erzählen Sie uns, wie sie Thetona kennenlernten.«)
     
    Ich bin allein auf Kollidor und laufe allein umher. Es ist ein großer, ausgedehnter Ort mit komisch aussehenden Häusern und vertrackten Straßen, aber tief unter all dem Äußeren kann ich erkennen, daß es genau wie auf der Erde ist. Die Leute sind wie bei uns. Sie sehen bizarr aus, aber sie haben einen Kopf und zwei Arme und zwei Beine, was sie mehr zu Menschen macht als manch anderen Fremden, den ich bisher gesehen habe.
    Warshow hat uns einen Nachmittag freigegeben. Ich weiß nicht, warum ich das Schiff verlassen habe, aber hier in der Stadt bin ich allein. Verdammt allein!
    Die Straßen sind gepflastert, die Bürgersteige aber nicht. Plötzlich bin ich sehr müde und fühle mich schwindlig. Ich setze mich auf einen Straßenrand, lege den Kopf in die Hände. Die Fremden gingen einfach um mich herum, genau wie die Leute in jeder anderen großen Stadt es tun würden.
    Mama, denke ich.
    Dann denke ich: Woher kam das?
    Und plötzlich steigt in mir eine große leere Einsamkeit empor, spült mich hinweg, und ich weine. Ich habe nicht mehr geweint, seit ... seit langer Zeit nicht mehr. Jetzt aber weine ich, schnappe röchelnd nach Luft, Tränen laufen mein Gesicht hinunter und sammeln sich in den Mundwinkeln. Tränen schmecken salzig, denke ich. Ein wenig so wie Regentropfen.
    Mein Körper schmerzt mich plötzlich an der Seite, wo ich die Verletzung durch den Unfall an Bord hatte. Der Schmerz beginnt unter dem Ohr und läuft wie eine heiße Spur hinunter bis zu den Oberschenkeln, und es tut teuflisch weh. Die Ärzte haben mir versichert, daß es nie wieder weh tun würde – sie haben gelogen.
    Ich empfinde meine Einsamkeit um mich herum wie einen versiegelten Raumanzug, der mich von jedem anderen Lebewesen abschneidet. Mama, denke ich wieder. Ein Teil in mir sagt: Benimm dich wie ein Erwachsener, aber dieser Teil wird immer leiser. Ich weine immer noch, und ich wünsche mir verzweifelt meine Mutter zurück. Mir wird jetzt klar, daß ich meine Mutter niemals wirklich gekannt habe, ausgenommen ein paar Jahre vor unendlich langer Zeit.
    Dann ist da plötzlich ein moschusartiger, etwas Übelkeit erregender Geruch, und ich weiß, daß einer der Fremden neben mir ist. Sie werden mich greifen und wie einen Betrunkenen wegschleppen, der auf offener Straße herumliegt. Warshow wird mir ordentlich einheizen.
    Du weinst, Erdenmensch, sagt eine warme Stimme neben mir.
    Die kollidorische Sprache ist irgendwie warm und flüssig und leicht zu lernen, aber das klingt noch besonders warm. Ich drehe mich um, und da steht diese große eingeborene Frau.
    Ja, ich weine, sage ich und sehe weg. Ihre große Hand kommt herab, bleibt auf mir liegen, und ich zittere ein wenig. Es ist ein komisches Gefühl, von einer fremden Frau so behandelt zu werden.
    Sie setzt sich neben mich. Du siehst sehr traurig aus, sagt sie.
    Das bin ich, erkläre ich

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