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Nacht über der Menschheit

Nacht über der Menschheit

Titel: Nacht über der Menschheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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mitten in der Dunkelheit, und doch weiß ich, daß um mich herum ein Raumschiff ist, das mit mir nach Kollidor rast und das mich schützt.
    Ich bin mitten im Schiff, schaukele sanft und sicher in der Dunkelheit. Ich bin innerhalb des Schiffes, ein Rad innerhalb eines Rades, eine Tür in der Tür, eine chinesische Rätselkiste in mir selbst.
    Weiche Flüssigkeit überspült mich, salbt die Stellen, wo das Gewebe zerstört worden ist und das Fleisch darunter unter der Hitze Blasen geschlagen hat. Sorgfältig jede Zelle erfassend, meinen Körper Organ für Organ badend, werde ich wieder gesund.
    Ich schwebe auf einem Ozean und in einem Ozean. Mein Körper heilt schnell, der Schmerz läßt nach.
    Der Zeit, die vergeht, bin ich mir dabei nicht bewußt. Minuten gehen unmerklich in Minuten über, die Zeit fließt ununterbrochen, und ich werde in eine weiche, endlose Existenz gelullt. Glück, denke ich. Sicherheit. Friede.
    Hier gefällt es mir.
    Um mich herum eine flüssige Glocke, darum herum ein festes Netzwerk aus Metall. Darum herum ein sphärisches Raumschiff, und um dieses das Universum. Und um das Universum ...? Ich weiß es nicht, und es ist mir gleichgültig. Ich bin sicher hier, wo es keinen Schmerz, keine Angst gibt.
    Dunkelheit, totale und tiefste Dunkelheit. Sicherheit bedeutet Dunkelheit und Wärme und Ruhe. Aber dann ...
    Was tun sie?
    Was geschieht da?
    Blaue Lichtpfeile zucken durch das Dunkel, jetzt ein Farbwirbel. Grün, rot, gelb. Licht bricht herein, blendet mich. Gerüche, Geräusche, Hindernisse.
    Meine Wiege schaukelt. Ich bewege mich.
    Nein. Sie ziehen mich heraus!
    Es wird kalt, und ich kann nicht atmen. Ich ersticke! Ich versuche, mich festzuhalten, aber sie lassen nicht locker! Sie ziehen mich immer weiter hinaus – hinaus in die Welt aus Schmerz und Feuer!
    Ich kämpfe. Ich will nicht hinaus. Aber es hat keinen Zweck. Schließlich bin ich draußen.
    Ich sehe mich um. Zwei verschwommene Gestalten über mir. Ich wische mir über die Augen, und die Dinge werden klarer. Warshow und Sigstrom heißen sie.
    Sigstrom lächelt und strahlt: Ist er nicht wunderbar geheilt?
    Ein Wunder, sagt Warshow. Ein Wunder.
    Ich schwanke, ich will fallen, aber ich liege bereits. Sie sprechen weiter, und ich fange vor Wut an zu schreien.
    Aber es gibt keinen Weg zurück. Es ist vorbei, ein für allemal vorbei. Und ich bin schrecklich allein.
     
    Falks Stimme erstarb plötzlich. Warshow mußte sich sehr beherrschen, um sich nicht zu übergeben. Sein Gesicht war kalt und klebrig, und er wandte sich um und sah in die blassen, nervösen Gesichter von Sigstrom und Cullinan. Hinter ihnen saß Thetona, völlig ausdruckslos.
    Cullinan brach das lange Schweigen. »Leon, Sie haben schon den früheren Bericht gehört. Haben Sie erkannt, was er uns da erzählt hat?«
    »Das Geburtstrauma«, sagte Warshow tonlos.
    »Offensichtlich«, stimmte Sigstrom zu. Der Mediziner fuhr sich zerfahren durch sein dichtes weißes Haar. »Die Chemotherapie ... das war ein Mutterleib für ihn. Wir haben ihn zurück in den Mutterleib gesteckt.«
    »Und dann haben wir ihn herausgeholt«, sagte Warshow. »Wir haben ihn geboren. Dann ging er, um eine Mutter zu suchen.«
    Cullinan deutete auf Thetona. »Er hat auch eine gefunden.«
    Warshow fuhr sich über die Lippen. »Nun, jetzt haben wir die Antwort – was wollen wir damit machen?«
    »Wir spielen ihm das Ganze auf Band vor. Sein Intellekt wird seine Beziehung zu Thetona als das erkennen, was sie ist – als der neurotische Versuch eines erwachsenen Mannes, in einen künstlichen Mutterleib zu gelangen und sich eine Mutter zu suchen. Wenn wir das aus seinem Unterbewußtsein sozusagen ins Oberstübchen vermittelt haben, denke ich, daß er gesund wird.«
    »Aber das Schiff war seine Mutter«, sagte Warshow. »Darin befand sich der Inkubationstank – der Mutterleib.«
    »Das Schiff hat ihn hinausgeworfen. Sie waren ein Onkel-Abbild, kein Mutter-Ersatz. Das hat er sich selbst gesagt. Er hat danach woanders gesucht und Thetona gefunden. Spielen wir ihm die Bänder vor.«
     
    Sehr viel später saß Matt Falk den vieren in der Kabine gegenüber. Er hatte seine eigene Stimme über seine Vergangenheit sprechen hören. Jetzt wußte er.
    Nach dem letzten Band, nach den letzten Worten Ein für allemal vorbei. Und ich bin schrecklich allein, herrschte langes Schweigen.
    Die Worte schienen minutenlang im Raum zu hängen. »Danke«, sagte Falk schließlich mit kalter, toter Stimme.
    »Danke?« wiederholte Warshow

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