Nacht über der Menschheit
von irgend jemandem einfach so verschwendet wurden.
Katterson blieb, wo er war und senkte den Kopf ein wenig, um die Leute um sich herum zu betrachten – dürre, halb verhungerte Skelette, die ihm seine Körpergröße neideten. Ein ausgemergelter Mann mit brennenden Augen und einer großen Hakennase hatte eine kleine Gruppe um sich versammelt und schrie sich eine Ansprache aus dem Leib. Katterson hatte von ihm gehört – sein Name war Emerich, und er war der Anführer einer Kolonie, die in den verlassenen U-Bahnschächten in der 14. Straße lebte. Instinktiv ging Katterson näher heran, um ihm zuzuhören; Malory folgte ihm.
»Das ist eine Verschwörung!« schrie der ausgemergelte Mann. »Sie erzählen von einem Notstand in Trenton. Was für ein Notstand? Ich frage euch: Was für ein Notstand? Die Flut hat ihnen kaum geschadet – sie wollen uns nur loswerden und lassen uns dafür einfach verhungern, das ist alles! Und was können wir dagegen tun? Nichts. Trenton weiß, daß wir niemals in der Lage sein werden, New York wieder aufzubauen, und sie wollen uns loswerden, deshalb sperren sie uns unsere Lebensmittel.«
Inzwischen war die Menschenmenge größer geworden. Emerich war populär; die Leute brüllten Zustimmung, unterstrichen seine Rede mit Applaus.
»Aber werden wir verhungern? Wir werden es nicht!«
»Genau richtig, Emerich!« schrie ein kleiner Mann mit Bart.
»Nein«, fuhr Emerich fort, »wir werden ihnen zeigen, was wir können. Wir werden jedes Bröckchen Nahrung aufsammeln, jeden Grashalm, jedes wilde Tier, jedes Stück Schuhleder. Und wir werden überleben, genauso, wie wir die Blockade und die Hungersnot von '47 überlebt haben. Und eines Tages werden wir hinüber nach Trenton gehen und ... und sie bei lebendigem Leibe verbrennen!«
Ein Gebrüll der Zustimmung erfüllte die Luft. Katterson wandte sich ab und zwängte sich durch die Menschen, wobei er ständig an die beiden Männer und den Hund denken mußte. Ohne einen Blick zurück ging er davon. Er schlug die Richtung auf die Vierte Avenue ein, bis er den Lärm der Menge auf dem Union Square nicht mehr hören konnte. Dann setzte er sich müde auf einen Haufen verbogener Stahlträger, die einmal das Carden-Monument gebildet hatten.
Katterson legte den Kopf in die Hände und saß einfach da. Die Ereignisse des Nachmittags hatten ihn entmutigt. Nahrung war knapp, solange er zurückdenken konnte – die vierundzwanzig Jahre Krieg hatten jede Nahrungsquelle des Landes erschöpft. Der Krieg hatte einfach nicht aufgehört. Nach den ersten Bombardierungswellen war er zu einem Erschöpfungskrieg geworden, bei dem sich die beiden gegnerischen Blöcke langsam aufrieben.
Irgendwie war Katterson auch mit sehr wenig Nahrung groß und stark geworden, und er fiel auf, wohin er kam. Die Generation Amerikaner, zu der er gehörte, war nicht gerade groß oder stark – die Kinder wurden unterernährt geboren, schwach und schrumpelig wie Greise. Aber er war groß geworden, und er war einer der Glücklichen gewesen, die man zur Armee einzog. Zumindest dort hatte er regelmäßig zu essen bekommen.
Katterson stieß mit dem Fuß ein Stück Schlacke fort, dann sah er Malory herankommen. Katterson lachte innerlich, während er sich an seine Zeit bei der Armee erinnerte. Sein gesamtes erwachsenes Leben hatte er in einer Uniform verbracht, mit allen Privilegien eines Soldaten. Aber es war zu schön gewesen, um länger anzuhalten; vor zwei Jahren, im Jahre 2052, war der Krieg endlich zum Stillstand gekommen. Beide rivalisierenden Blöcke waren ausgeblutet, und plötzlich war fast die gesamte Armee in die unfreundliche zivile Welt entlassen worden. Man hatte ihn in New York laufengelassen, verloren und allein.
»Gehen wir auf Hundejagd«, sagte Malory lächelnd, als er näher kam.
»Hüten Sie Ihre Zunge, Mann! Sonst könnte ich Sie aufessen, wenn ich hungrig genug bin.«
»Wie? Ich dachte, Sie sind dadurch, daß zwei Männer einen Hund gejagt haben, geschockt?«
Katterson sah auf. »Das war ich«, sagte er. »Setzen Sie sich oder verschwinden Sie, aber machen Sie keine Spielchen«, grollte er. Malory setzte sich neben Katterson auf die Trümmer.
»Sieht ziemlich schlecht aus«, sagte Malory.
»Stimmt«, antwortete Katterson. »Ich habe den ganzen Tag noch nichts gegessen.«
»Warum nicht? Gestern abend gab es eine reguläre Essensvergabe, und heute wird es wieder eine geben.«
»Das hoffen Sie«, sagte Katterson. Der Tag neigte sich dem Ende zu, die abendlichen
Weitere Kostenlose Bücher