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Nacht über der Menschheit

Nacht über der Menschheit

Titel: Nacht über der Menschheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Schatten wurden schnell länger. Die Ruinen von New York sahen in der Dämmerung alptraumhaft aus – die verbogenen Stahlträger und eingestürzten Hochhäuser wirkten wie Geister längst gestorbener Riesen.
    »Morgen werden Sie noch hungriger sein«, sagte Malory. »Es wird keine Essensverteilung mehr geben.«
    »Erinnern Sie mich nicht daran, Mann.«
    »Ich bin im Lebensmittelgeschäft tätig«, sagte Malory, wobei ein schwaches Lächeln seine Lippen verzog.
    Katterson sah abrupt auf.
    »Wieder alberne Spielchen?« fragte er.
    »Nein«, versicherte Malory eiligst. Er kritzelte seine Adresse auf ein Stück Papier und gab es Katterson. »Hier. Schauen Sie bei mir vorbei, wenn Sie sehr hungrig sind. Und – Sie sind doch ein verdammt starker Kerl, nicht wahr? Vielleicht habe ich sogar Arbeit für Sie, seit Sie entlassen worden sind, wie Sie sagten.«
    Der Zipfel einer Erkenntnis streifte Katterson. Er wandte sich um und sah dem kleinen Mann ins Gesicht.
    »Arbeit welcher Art?«
    Malory wurde blaß. »Oh, ich brauche einige starke Männer, um Nahrung für mich zu besorgen. Sie verstehen ...«, flüsterte er.
    Katterson griff hinüber und hielt den kleinen Mann an den Schultern fest. Malory blinzelte. »Ja, ich weiß«, wiederholte Katterson langsam. »Sagen Sie, Malory«, fuhr er vorsichtig fort. »Welche Art Nahrung verkaufen Sie?«
    Malory wand sich. »Äh, nun, also hören Sie, ich wollte Ihnen nur helfen, und dachte ...«
    »Kommen Sie mir nicht so.« Langsam erhob Katterson sich, ohne den Griff zu lockern. Malory wurde auf die Füße gestellt. »Sie sind im Fleischgeschäft tätig, nicht wahr, Malory? Welche Sorte Fleisch verkaufen Sie? «
    Malory versuchte, sich loszureißen. Katterson gab ihm ein paar Schläge, die den Mann der Länge nach hinfallen ließen. Malory rappelte sich auf, die Augen vor Angst weit aufgerissen, und rannte die 13. Straße hinunter in die Dunkelheit davon. Katterson sah ihm lange nach, atmete schwer und wagte nicht, über die letzten Minuten nachzudenken.
    Dann faltete er das Papier mit Malorys Adresse zusammen, steckte es in die Tasche und ging benommen davon.
     
    Barbara erwartete ihn, als er eine Stunde später seinen Daumen gegen die Türplatte seines Apartments in der 47. Straße drückte.
    »Ich nehme an, du hast die Nachricht gehört«, sagte sie, als er eintrat. »Ein geschniegelter Lieutenant kam daher und gab es unten bekannt. Ich habe unsere Ration für heute abend bereits geholt, und das ist die letzte. He – stimmt etwas nicht?« Sie musterte Katterson besorgt, als er sich wortlos auf einen Stuhl niederließ.
    »Nichts, Mädchen. Ich habe nur Hunger – und mein Magen ist nicht ganz in Ordnung.«
    »Wo warst du heute? Wieder am Square?«
    »Ja – mein üblicher Donnerstag-Spaziergang; und was für ein schöner Ausflug es war. Zuerst sah ich zwei Männer, die einen Hund jagten – sie können nicht viel hungriger gewesen sein als ich, aber sie jagten das arme Vieh. Dann hielt dein Lieutenant seine Ansprache, und dann versuchte ein schmutziger Fleisch-Händler, mir ›Ware‹ zu verkaufen und bot mir einen Job an.«
    Das Mädchen hielt die Luft an. »Einen Job? Fleisch? Was war los? Oh, Paul ...«
    »Vergiß es«, sagte Katterson. »Ich habe ihn verprügelt, und er ist mit eingezogenem Schwanz davongerannt. Weißt du, was er verkauft hat? Weißt du, welche Fleischsorte er mir zum Essen anbieten wollte?«
    Sie senkte den Blick. »Ja, Paul.«
    »Und der Job, den er mir anbot – er sah, daß ich stark bin, und so sollte ich sein Lieferant werden. Ich wäre dann jeden Abend auf Jagd, um Streuner niederzuschlagen, die dann in die Steaks für morgen verwandelt werden.«
    »Aber wir haben großen Hunger, Paul – wenn man Hunger hat, ist das das Wichtigste.«
    »Was?« Seine Stimme klang wie das Röhren eines wütenden Stiers. »Du weißt nicht, was du sagst, Frau. Iß, bevor du völlig den Verstand verlierst. Ich werde eine andere Möglichkeit finden, zu Nahrung zu kommen, aber ich werde nicht zu einem blutigen Kannibalen werden. Nein, nicht Paul Katterson.«
    Die Frau schwieg. Die einzige schwache Glühbirne in der Decke flackerte zweimal.
    »Sie schalten bald den Strom ab – hol die Kerzen, es sei denn, daß du müde bist«, sagte er. Er hatte keine Uhr, aber das Flackern war das Zeichen dafür, daß es bald zwanzig Uhr dreißig war. Um halb neun jeden Abend wurde der Strom in allen Wohnungen abgeschaltet, ausgenommen in denen, die eine Erlaubnis besaßen, die normale

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