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Nacht über der Menschheit

Nacht über der Menschheit

Titel: Nacht über der Menschheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Zuteilung zu überschreiten.
    Barbara zündete eine Kerze an.
    »Paul, Vater Kennen war heute wieder hier.«
    »Ich sagte ihm, er soll sich hier nicht sehen lassen«, sagte Katterson aus der Dunkelheit seiner Ecke des Raumes, in der er saß.
    »Er meint, daß wir heiraten sollten, Paul.«
    »Ich nicht.«
    »Paul, warum bist du ...«
    »Sprechen wir nicht mehr davon. Ich habe dir oft genug gesagt, daß ich nicht die Verantwortung für zwei zu stopfende Mäuler übernehme, wenn ich nicht einmal in der Lage bin, meinen Bauch zu füllen. So ist es am besten – jeder ist Herr über sich selbst.«
    »Aber Kinder, Paul ...«
    »Bist du heute abend verrückt?« fragte er. »Würdest du es wagen, ein Kind in diese Welt zu setzen? Besonders jetzt, da wir keine Nahrung mehr aus der Trenton-Oase bekommen. Würde es dir etwa Spaß machen, zuzusehen, wie das Kleine entweder in all dem Dreck und Schutt verhungert oder vielleicht zu einem hohlwangigen Skelett heranwächst? Vielleicht möchtest du das – ich lege keinen Wert darauf.«
    Er schwieg. Die Frau sah zu ihm und schluchzte leise.
    »Wir sind tot, du und ich«, sagte sie schließlich. »Wir wollen es nicht zugeben, aber wir sind tot. Diese ganze Welt ist tot – seit dreißig Jahren begehen wir Selbstmord. Ich kann mich nicht so weit zurückerinnern wie du, aber ich habe einige der alten Bücher gelesen, die davon handeln, wie sauber und schön diese Stadt vor dem Krieg war. Der Krieg! Mein ganzes Leben hindurch war Krieg, ohne zu wissen, wogegen wir eigentlich kämpften. Ohne Grund wurde die Welt in Stücke gesprengt.«
    »Hör auf, Barbara«, sagte Katterson, aber sie fuhr monoton fort: »Man erzählt mir, daß Amerika einst von Küste zu Küste reichte, statt aus schmalen Streifen zu bestehen, die von radioaktivem Niemandsland umgeben sind. Und es gab Farmen und Nahrung und Seen und Flüsse, und die Menschen flogen von einem Ort zum anderen. Warum mußte das geschehen, Paul? Warum sind wir alle tot? Wie soll es weitergehen, Paul?«
    »Ich weiß es nicht, Barbara. Ich glaube, niemand weiß es.« Schnell blies er die Kerze aus, und Dunkelheit strömte in den Raum und füllte ihn aus.
     
    Irgendwie war er wieder zum Union Square gewandert. Er stand jetzt an der 14. Straße und wippte langsam auf seinen Füßen vor und zurück. Im Kopf verspürte er eine Schwerelosigkeit, die das erste Zeichen des Verhungerns ist. Es waren nur ein paar Leute unterwegs, die mürrisch irgendwelchen Zielen zustrebten. Die Sonne stand strahlend hell am Himmel.
    Sein Traum wurde plötzlich von Schreien und dem ungewohnten Geräusch laufender Füße zerstört. Seine Armee-Ausbildung kam ihm zugute, denn ohne Zögern verschwand er in einem Graben und versteckte sich dort.
    Nach einigen Sekunden lugte er hinaus. Vier Männer, jeder so groß wie Katterson selbst, strichen die Straße auf und ab. Einer trug einen Sack.
    »Da ist wer.« Katterson hörte den Mann mit dem Sack rauh schreien. Erstarrt sah er zu, wie die vier Männer ein Mädchen aufs Korn nahmen, das vor einem zerfallenen Gebäude saß.
    Als die Männer sich ihr näherten, wollte sie weglaufen, wobei sie fluchte und sich darauf einstellte, sich zu wehren. Sie begreift nicht, dachte Katterson. Sie denkt, sie soll vergewaltigt werden.
    Schweiß lief Katterson am ganzen Körper herunter, während er an sich hielt, um nicht hinauszuspringen. Die vier Männer hatten das Mädchen eingekreist. Sie spuckte, schlug mit krallenartigen Händen um sich.
    Sie kicherten nur und ergriffen sie. Ihr Schreien war plötzlich ohrenbetäubend, als man sie ans Tageslicht zerrte. Ein Messer blitzte auf – Katterson biß die Zähne zusammen, als das Messer zustieß.
    »In den Sack mit ihr, Charlie«, sagte eine rauhe Stimme.
    In Kattersons Augen standen Tränen ohnmächtiger Wut. Das war seine erste Begegnung mit Malorys Schlächtern – zumindest vermutete er, daß es Malorys Bande war. Er spürte sein Messer an der Hüfte, erhob sich, um die vier Banditen anzugreifen, aber dann kehrte seine Vernunft zurück, und er sank wieder in den Graben hinab.
    Bereits jetzt? Katterson wußte, daß der Kannibalismus sich seit langem in New York ausbreitete, schon seit Jahren, und daß nur wenige Leichen ihr Grab jemals intakt erreichten – aber das war das erste Mal, soweit er wußte, daß Räuber einen Menschen auf der Straße eingefangen und getötet hatten, um daraus Nahrungsmittel zu machen. Er schüttelte sich. Der Kampf um Leben und Tod hatte also begonnen.
    Die

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