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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Selbstbedienung an der Speisenausgabe Suppe, Fleisch, Gemüse, Kartoffeln und Süßspeise, dazu ein Glas Milch zu holen. Klassenweise setzten sich Schüler und Schülerinnen an den langen blanken Tischen zusammen.
    Queenies Klasse war gering besetzt. Es gehörten ihr nur fünfzehn Schüler an, darunter fünf Jungen und zehn Mädchen; sie waren achtzehn bis zwanzig Jahre alt. Unter den fünf Sitzenbleibern, die endlich doch die 12. Klasse – den ›12. Grad‹ – schaffen wollten, waren drei Jungen und zwei Mädchen.
    Ein Mädchen gefiel Queenie besonders. Sie hieß Yvonne, hatte eine französische Mutter und einen indianischen Vater und war von Teacock gescholten worden, weil sie die mathematischen Aufgaben nicht gelöst hatte. Queenie hielt ihr während des Essens einen kleinen mathematischen Vortrag, der dem Mädchen besser einging als Teacocks abgedroschene Erläuterungen. Queenie gewann dadurch auch die Freundschaft von Yvonnes Bruder, der seine um ein Jahr jüngere Schwester zärtlich liebte.
    »Queenie«, sagte er, »du solltest Yvonne immer helfen. Schade, daß du nicht im Internat hier bist. Kannst du nicht bleiben?«
    »Nein.«
    »Schade. Teacock ist eine Stechmücke.«
    »Warum mögt ihr ihn denn nicht leiden?«
    »Er ist falsch!«
    »Das kann ich mir nicht denken. Er erklärt nur nicht gut.«
    »Falsch ist er. Er hat gefragt: Wie heißt es, 5 plus 12 sind 18 oder 5 plus 12 ist 18. Was würdest du antworten, Queenie?«
    »Überhaupt nicht, sondern 17.«
    Yvonne brach in Lachen aus.
    »Ja«, sagte Louis, »aber so macht er es immer. Immer wie eine Schlange, die in den Fuß sticht.«
    »Aber Louis«, protestierte Queenie, »das ist doch nur eine kleine Denkaufgabe. Man muß aufmerksam sein.«
    »Bei dem allerdings! Er ist hinterhältig. Ein solcher Test ist gemein.«
    Queenie schüttelte den Kopf.
    »Missis Holland, oh, das ist eine wunderbare Lehrerin, wenn sie auch streng ist«, meinte Yvonne.
    Hierüber herrschte Einigkeit.
    Die Schüler strömten zum Unterricht zurück.
    Am nächsten Tag vollzog sich ähnliches. Lehrer Teacock, der gegen unzureichende Schüler eine ausgesprochene und aktive Abneigung auszubilden pflegte, quälte Yvonne im Geschichtsunterricht mit den Elementarfragen über die vier Präsidenten, deren überlebensgroße Köpfe, in einen Naturfelsen eingehauen, vom Berg über das Land schauten. Yvonne hatte keine Lust zu antworten, weil sie die Absicht des Lehrers spürte, eine Schülerin bloßzustellen. Es war kein Wort aus ihr herauszubringen. Queenie, die hinter Yvonne saß, versuchte vorzuflüstern: »Washington, Jefferson, Lincoln, Roosevelt« – aber ehe Yvonne sich entschloß etwas zu wiederholen, hatte Mr. Teacock den Verstoß gegen die Ordnung gemerkt.
    »Missis King, Ihre Hilfsbereitschaft ist hier fehl am Platze. Hindern Sie Yvonne nicht am fleißigen Arbeiten noch am ehrlichen Antworten. Nichts kann uns mehr in die Irre führen als ein gutes Herz, das die allgemeinen Gesetze menschlichen Verhaltens auf schädliche Weise durchbricht. Tatsächlich!«
    Beim Mittagessen hatten Yvonne und Louis wieder rechts und links von Queenie Platz genommen.
    »So ist er!« sagte Louis. »Er hat immer recht, und trotzdem ist es immer nichtswürdig, was er sagt und tut. Das macht ihn unerträglich.«
    »Drei hätte ich selbst gewußt, nur Jefferson vergesse ich immer«, gestand Yvonne. »Aber wenn ich Teacock sehe, ist meine Zunge gelähmt. Nicht einmal die Namen der großen indianischen Häuptlinge würde ich ihm sagen, obgleich ich sie genau weiß: Pontiak, Tekumseh, Tashunka-witko, Tatanka-yotanka, Machpiyaluta und Geronimo.«
    »Tashunka-witko soll jetzt ein Denkmal aus Stein, ebenso wie die Präsidenten, erhalten.«
    »Aber das ist nicht Teacock, der es ihm setzen würde. Und überhaupt wird es niemals fertig.«
    »Ich glaube, Teacock meint es gut«, verteidigte Queenie. »Er will eben, daß wir tüchtig lernen, und in seiner Mathematik gibt es Regeln, aber kein Herz. Vielleicht macht er darum alles so ungeschickt, so aufreizend.«
    »Aufreizend, ja, und hinterhältig. Kennst du die Sache mit dem Geld?«
    »Nein.«
    »Das ist ein paar Jahre her. Er mag die Indianer nicht…«
    »Ich glaube«, warf Queenie sanft ein, »er mag schlechte Schüler nicht, ohne dabei zu fragen, warum ihre Leistungen nicht gut sind.«
    »Also nun höre mir einmal zu!« protestierte Louis mit blitzenden Augen. »Er mag uns Indianer nicht. Er behauptet, daß wir diebisch seien und daß die Lehrer kein Geld in die

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