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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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ihm etwas von Belang zu sein schien.
    »Eine neue Tatsache hast du immerhin festgestellt, Queenie, kleiner Detektiv. Teacock hatte nie davon gesprochen, daß er das Geld in dem Lehrertisch der 12. Klasse habe liegenlassen. Vielleicht fürchtete er, seinen Harold dadurch irgendwie zu belasten. Er sprach immer nur von der 7. Klasse, und es blieb immer eine offene Frage, ob er denn schon zu Beginn der Pause einmal in diesem Klassenzimmer gewesen sei, in dem er nachher zu unterrichten hatte. Denn diese Zeitspanne mußte bleiben, um mir zu unterstellen, daß ich das Geld aus dem Lehrertisch genommen habe. Ein Taschendiebstahl kam nicht in Frage; ich war nachweislich an diesem Tage nicht in Teacocks Nähe gewesen.«
    »Er mochte dich nicht leiden.«
    »Er mochte mich nie leiden, weil ich ein schlechter Schüler war, aber er verfolgte mich geradezu mit seinem Haß, seitdem er als Lehrer vom Schulinspektor meinetwegen einen schweren Rüffel einstecken mußte, der sogar in das Schulbuch eingetragen wurde. Ich hatte das Flaggengelöbnis wieder einmal greulich falsch aufgesagt und wollte die Sterne und die Streifen nicht erklären. Ich stand auch nicht so stramm vor der Flagge, wie es sich gehörte und legte die Hand nicht aufs Herz. – Teacock hat mich dann oft die Stunde hindurch vor die Klasse hingestellt als einen Dummkopf. Ich hatte versucht, die Aufgaben zu lösen. Seine Mathematik interessierte mich mehr als seine Geschichte, die ich ihm nicht glaubte. Für mich war General Custer ein Räuber und Mörder und Tashunka-witko ein Held, nicht umgekehrt. Ich wollte aber hinter die Geheimnisse der Zahlen und der Dreiecke kommen. Dafür fehlten mir die Grundlagen. Zu oft hatte ich die Schule versäumt. Erst wegen des weiten Weges und weil der Großvater mich verprügelte, wenn ich hinging, dann weil ich die Lust verloren hatte. Teacock hat mich verhöhnt bis aufs Blut, wenn ich sein Pensum nicht schaffte und nicht genügend Englisch konnte, um mich verständlich zu machen. Ich habe gar nicht mehr geantwortet. Dafür wurde ich dann bestraft.«
    »Du hast ihn auch gehaßt.«
    »Ich hatte ihn sogar bedroht, das war straferschwerend. Ich hatte ihn einmal unter vier Augen abgefaßt und ihn gefragt, ob er sich mit mir messen wolle. Er wollte leider nicht.«
    »Hat die Klasse zu dir gehalten?«
    »Ein paar Rowdies, ja. Ich war immer der Beste im Sport, und Frank Morning Star wollte schon eine Gruppe mit mir aufziehen. Vor Gericht wurde uns der Zusammenhalt dann als Bandenbildung ausgelegt. Wir hatten uns ein paarmal gemeinsam geschlagen, nicht eben rücksichtsvoll, das gebe ich zu. – Die meisten Schüler haben aber überhaupt nicht mit mir gesprochen, weil ich der Sohn einer ›Mörderin‹ und eines Säufers bin. Du weißt, in uns Indianern sitzt alles tiefer und fester als unter Weißen: Freundschaft und Feindschaft und die Überzeugung, was wir für recht halten und was für unrecht. Harold, der vor dem Baccalaureat stand und Ansehen genoß, hat mich in den Pausen beschimpft. Wir haben uns mehr als einmal geschlagen, bis seine Fetzen flogen. Auch um dich.«
    »Das nächste ist, daß ich mir die Aussagen über das ›Geld in der 12. Klasse‹ schriftlich geben lasse.«
    »Schriftlich geben sie dir das nicht.«
    »Doch, ich glaube.«
    »Du warst früher auch in dieser Schule, Queenie. Glaubst du, daß vor ein paar Jahren irgend jemand von den Schülern gewagt hätte, gegen Theodore Teacock auszusagen? Nicht einmal die Eltern hätten sich getraut. Wir Indianer haben an den Schulen unserer Kinder nichts zu sagen. Teacock war allmächtig.«
    »Das war er. Aber es hat sich viel geändert, und sein Stern sinkt. Frau Holland hat mich gefragt, woran es denn liegen könne, daß er mit keiner Klasse zurechtkommt.«
    »Hat Teacock schon begriffen, daß du meine Frau bist?«
    »Es scheint nicht. Er lebt zwischen seinen Schulbüchern wie zwischen vertrocknetem Gras.«
    Queenie saß am Tisch und begann, ihre Muster zu entwerfen.
    »Du brauchst dir nichts schriftlich geben zu lassen, Queenie; ziehe vorläufig niemand weiter in die Sache hinein. Ich versuche es auf einem einfacheren Weg.«
    »Wie du willst, Joe.«
    Einige Tage später gab es für die Schüler eine erwünschte Abwechslung. Es geschah an einem Mittwoch, an dem der Stundenplan so eingerichtet war, daß alle Lehrer anwesend zu sein hatten und sich zu einer Besprechung laufender Fragen zusammenfinden konnten, die gewöhnlich nachmittags um drei Uhr stattfand. Vorher und im Anschluß

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