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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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konnten Eltern die Lehrer, die sie zu sprechen wünschten, am leichtesten erreichen. Doch wurde von dieser Möglichkeit nur äußerst selten Gebrauch gemacht. Eltern und Lehrer kannten sich nicht; die Lehrer machten auch keine Hausbesuche.
    An jenem Mittwoch nun fuhr vor drei Uhr ein Sportcabriolet vor. Die ersten, die es beobachteten, waren einige junge Burschen, ehemalige Schüler der Schule, jetzt arbeitslos. Sie standen in einer Gruppe zusammen, die Cowboyhüte auf dem Kopf, die Hände in den Hosentaschen, in der schlaffen, zugleich provozierenden Haltung von jungen Menschen ohne Aufgaben und ohne Ziel. Sie hatten hier ihren Treffpunkt ebenso pünktlich am Mittwoch wie die Lehrer ihre Konferenz. Ihre Freude war, den Lehrern zu zeigen, wofür sie gelehrt hatten, und den Schülern zu zeigen, wofür sie lernten: für nichts, für die große Null des Herumstehens. Der Hausmeister hielt sich an der Tür auf, um die Burschen zu kontrollieren. Alle trugen sie die blauen Niethosen und bunte Hemden. Ihre Hüften waren schmal, ihre Körper elastisch. Es war nie sicher, was sie etwa im Sinn führten. Manchmal fingen sie eine Schlägerei an.
    Im Augenblick war ihr Interesse vollständig gefesselt, denn aus dem Wagen stieg Joe King. Unter halbgeschlossenen Lidern verfolgten sie jede seiner Bewegungen. Er wußte das und nahm seine lässige Haltung an. Sobald er im Schulhaus verschwand, näherte sich die Gruppe wie zufällig dem Wagen, von dem man sagte, daß er hundertzwanzig Meilen schaffe. Nur selten hatte ein Reservations-Indianer einen guten Wagen im Besitz.
    Joe kannte die Schule und ihre Räume, an deren Einteilung sich nichts geändert hatte, soviel sich auch sonst geändert haben mochte. Er ging den hellen Gang an den Klassenzimmern entlang. Die Stunde war eben zu Ende, Türen öffneten sich. Teacock kam aus Klasse 7, der zur Zeit untersten Klasse, die er zu betreuen hatte. Die Schüler und Schülerinnen im Klassenzimmer verhielten sich noch ganz ruhig. Joe ließ sich nicht anmerken, daß er Teacock wahrgenommen, geschweige denn erkannt hätte. Er ging in seinem gemäßigten Tempo weiter in Richtung des Direktionssekretariats. Teacock war von der Erscheinung, der er nachblickte, verwirrt, ohne zunächst zu wissen, warum. Da sagte die stets liebenswürdige junge Negerlehrerin, die eben aus der ersten Klasse gekommen war, mit ihrer sanften Stimme: »Mister Teacock?« Denn der alte Lehrer stand als Verkehrshindernis in dem Gang, und sie wollte mit ihren kleinen Schülern, die eine lange Reihe bildeten, durch diesen Gang zum Turnsaal gehen. Teacock erschrak, als er sein eigenes Verhalten als hinderlich und unzweckmäßig erkannte, und machte etwas überhastet Platz. Die Lehrerin mit ihrem freundlich lächelnden Gesicht ermahnte die Kinder mit einer leichten Handbewegung und einem Spitzen der Lippen, dann zogen die sechs- bis siebenjährigen in stummer Ordnung an Mr. Teacock vorbei.
    Unterdessen war Joe King vor der Tür des Direktionssekretariats angelangt und machte dort halt, um anzuklopfen. Auf diese Weise erregte er wieder Teacocks Aufmerksamkeit, und jetzt schalteten in dessen Gehirn die Gedächtniszellen, ohne daß er hätte sagen können, wo der Kontakt entstanden war. Vielleicht war es das Allgemeine der Haltung dieses nicht mehr zur Schule gehörenden Individuums, das den Funken springen ließ. Teacock stand einen Augenblick wie erstarrt. Dann ging er ins Lehrerzimmer.
    Dort fand er zwei Kollegen, die die Geschichte und die Geschichten der vergangenen Jahre kannten, und nachdem er sich zur Erleichterung der Gleichgewichtshaltung auf einen Stuhl gesetzt hatte, sagte er: »Ich bin erstaunt, daß Joe King Zutritt zu unserer Schule hat.«
    »Wieso, Teacock, will er noch das Baccalaureat machen?«
    »Ball, lassen Sie Ihre Witze. Draußen stehen die Halbstarken, denen das Herumlungern vor unserer Schule immer noch nicht energisch genug untersagt worden ist, und hier geht Joe King neuerdings aus und ein.«
    »Ach, es ist nicht das erstemal?«
    »Vielleicht ist es auch das erstemal. Jede schlechte Gewohnheit hat ihren Anfang. Aber gerade den Anfängen muß man sich widersetzen. Dieser Mensch wäre eines Beamtenmordes durchaus fähig. Davon bin nicht nur ich überzeugt.«
    »Dann muß man ihn eben nicht reizen, Teacock!«
    »Ball, ich sehe, Sie können die Scherze nicht lassen.«
    »Ich gebe zu, Teacock, daß Sie als Nr. 1 auf Joe Kings Abschußliste stehen. Ich habe ihn aber gar nicht so übel gefunden damals. In

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