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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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alter Witz. Aber der Bursche überrumpelt mich immer wieder.«
    Joe ritt weiter.
    Queenie wußte, wer mit dem ›Burschen‹ gemeint war.
    Der Mann, der die Kosten für den Rücktransport des Scheckhengstes und der Stute einkassieren sollte, hatte sich noch immer nicht gemeldet.
    Obgleich Joe äußerlich ruhig wirkte, seine bescheidene Arbeit regelmäßig tat und Polizei, Gericht, Stammesrat und Superintendent in diesen Wochen keinen Anlaß zur Unzufriedenheit finden konnten, grub und hackte die Sorge in Queenie. Sie wußte, daß Joe King, auch wenn die beiden gestohlenen Tiere zurückgebracht wurden, nicht auf die Dauer als Cowboy von vier Pferden unter der Aufsicht des Büros leben konnte. Es mußte etwas geschehen, oder er ging zugrunde. Er aß, aber es schlug nicht an. Er lief, aber er war nicht erfrischt. Er war freundlich zu Queenie, aber es war alles nur wie ein Abschied. Die Schußwaffen rührte Joe nie an. Raubvögel und Fasane zogen unbehelligt dahin. Er ging hinunter zum Booth-Brunnen, um Wasser zu holen, aber wenn Mary sich sehen ließ, grüßte er nicht einmal. Er meldete auf der Agentur, daß er noch da sei, sprach aber dort mit niemandem sonst ein Wort. Als Margot Crazy Eagle auf ihren regelmäßigen Rundtouren, die zu den Aufgaben des Gesundheitsdienstes gehörten, auch bei den Kings vorsprach, war Joe zufällig da, doch verhielt er sich, als ob Margot nicht da sei.
    Vater Halkett und Queenies Bruder Henry kamen zu Besuch. Joe hatte ihr Kommen rechtzeitig erspäht und ritt weg.
    Niemand fand mehr Zugang zu ihm außer Queenie, und diese durfte kein Wort darüber sagen, daß ihr Empfinden diesen Zugang noch hatte, sonst wäre auch diese letzte Tür, die wie versehentlich offengeblieben war, zugeschlagen worden. Die beste Zeit jedes Tages waren noch die Stunden, in denen Joe Queenie zu Pferd zum Schulbus und dann wieder zurück begleitete. Er war stets pünktlich zur Stelle.
    Eines Tages fuhr Harold Booth in einem eleganten Wagen auf der Booth-Ranch vor. Er hatte eine quirlige kleine Weiße mitgebracht, die aber nur ein paar Tage blieb, dann fuhr Harold sie wieder in Richtung New City fort und kam allein zurück in dem alten Studebaker, mit dem seine Mutter zum Einkaufen in die Agentursiedlung gefahren war.
    Queenie hatte scharf beobachtet und wohl bemerkt, daß Harold von seinem Vater weder begrüßt noch verabschiedet worden war, obgleich Isaac vor dem Hause stand. Wenn der alte Booth einmal gesprochen hatte, war an seinem Wort weniger zu rütteln als an einem gerichtlichen Urteilsspruch. Isaac revidierte nicht.
    Es kam wieder einmal der Tag, an dem sich Joe auf der Agentur zu melden und damit sein ordnungsgemäßes Verbleiben auf der Reservation zu bestätigen hatte. Das war sein Martertag. Er war ein Mann, der dreimal auf die Reservation zurückgekehrt war. Das erstemal war er freiwillig gekommen, auffallend, aggressiv, von vielen im stillen bewundert und voll Ironie über die, die ihn fürchteten. Das zweitemal brachte ihn der Traumwagen einer mächtigen und geheimnisvollen Institution. Er war aufgeschwemmt, aber in einer brisanten Stimmung; hohe Beamte beschäftigten sich mit ihm. Das drittemal brachte ihn der Gefangenenwagen der Stammespolizei als einen gescheiterten Menschen, als einen Brunnenträumer, einen Cowboy, der sich seine Pferde hatte stehlen lassen, einen Mann, der des Nachts in seinem Hause heulte, während die schwangere Frau draußen stand, als einen Kerl, der seinen Nachbar verleumdete, um eigene Versäumnisse zuzudecken, einen rückfälligen Schläger, der eine wertvolle trächtige Stute zuschanden geritten hatte und von der Polizei nach allen Regeln einer primitiven Kunst verprügelt worden war. Er durfte keine Feuerwaffen mehr führen, er hatte sich regelmäßig zu melden, und niemand erwartete von ihm, daß er es in seinem Leben noch einmal zu einem Rodeo-König bringen würde. Joe King war objektiv klein geworden, aber er war subjektiv noch immer nicht klein genug. Er wagte ja noch, zu schweigen und sich vor den Menschen zu verstecken. Also mußte man ihm zu fühlen geben, daß er sehr klein und ganz erledigt war und seinen Mitmenschen nicht entkommen konnte. Diese Aufgabe erfaßte Miss Thomson am besten, denn sie war sich dessen, was sie zu tun hatte, jederzeit und in vollem Umfang bewußt.
    Joe King kam an seinem Meldetag stets pünktlich, des Morgens um acht Uhr, aber es war nicht möglich, ihn sogleich abzufertigen. Es gab im Gegenteil stets unwiderlegliche Gründe, dies

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