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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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schon dunkelte. King mußte in dem Hagelwetter draußen gewesen sein, denn seine schwarzen Jeans waren bis über die Knie naß, das weiße Hemd war klatschnaß und klebte am Körper, und naß war der Cowboyhut.
    Da es auffällig gewesen wäre, zu zögern, verließ Queenie mit ihrem Päckchen den Laden und ging schnell auf ihren Wagen zu. Da geschah genau das, was sie aus innerer Verwirrung hatte vermeiden wollen.
    Joe King hatte sich umgewandt. Er kam auf sie zu, sagte »Hallo!« mit der Stimme, die sie seit ihren frühen Schuljahren kannte und nie vergessen hatte, und schien einen Augenblick zu warten, was sie nun tun werde. Das Blut schoß ihr in die Wangen, denn sie war verlegen darüber, von Joe King angesprochen zu werden. Die Kassiererin – mindestens die Kassiererin – beobachtete diese Begegnung, und vielleicht glaubte sie, Queenie habe das so eingerichtet.
    »Hallo!« antwortete Queenie scheinbar leichthin.
    Joe King mit seinen merkwürdigen Augen aber zwang sie zu einem antwortenden Blick, und in diesem Blick lag alles von einsamer Weite und köstlichem Kindertraum, von Geheimnis und Mutwillen und auch von Bekenntnis des Gefühls, was in Queenie geschlafen hatte und doch nicht erstorben war.
    Joe King lächelte ein wenig, mit jener Überlegenheit, die Queenie schon als Kind bis aufs Blut gereizt und doch stets von neuem angezogen hatte.
    Nun mußte es wohl geschehen – denn es war durchaus nicht unvorbereitet, und Queenie begriff diese Seite der Sache sofort –, daß von jenseits des Fahrdammes ein zweites »Hallo!« klang, von einer breiten Stimme getragen. Wenn Queenie hätte tun können, was sie am liebsten getan hätte, so hätte sie irgendeinen Riesen gezaubert, der die beiden jungen Männer mit ihren harten Schädeln aneinander stieß oder ihnen auch kaltes Wasser über den Kopf sprühen ließ, bis sie zu dem kamen, was Queenie als Vernunft zu bezeichnen pflegte. In Ermangelung eines solchen Zauberriesen tat sie, als habe sie nicht begriffen, daß auch dieses zweite Hallo ihr galt. Sie huschte zu ihrem Wagen, schloß etwas ungeschickter und umständlicher auf als sonst, schob sich auf den Fahrersitz, warf das Päckchen neben sich und startete, so schnell der alte Wagen es eben erlaubte. Als sie auf höhere Beschleunigung ging, schaute sie doch noch für einen Moment nach Joe King zurück. Es schien ihr, daß er sie verachtete und vollständig abtat ob ihres albernen Teenagerverhaltens. Der Wagen machte einen Sprung. Sie bekam kühle Hände und mußte fest zufassen, um nicht zu zittern.
    Was sie gemacht hatte, erschien ihr jetzt falsch. Sie hätte sich selbst zerreißen mögen. Entweder hätte sie für Joe Partei nehmen müssen, so einfach und ohne alle Scheu, wie sie es als Kind einmal getan hatte. Oder sie mußte sich verhalten wie eine Häuptlingstochter, die wußte, daß man kein Schauspiel vor anderen Leuten gab… die wußte, daß man das eine Hallo so ruhig und selbstverständlichfreundlich beantwortete wie das andere. Aber sie war nicht rund und nicht ausgeglichen, wie Ella behauptet hatte, oder war vielleicht der Ring, der alles zusammenhielt, zerbrochen? Ihr Denken und Fühlen zuckte, kräuselte sich und schlug gegeneinander wie Wasser unter streitenden Winden. Sie erinnerte sich daran, was Elk zu ihr gesagt hatte. Das… das… das sind die Kumpane… von Joe… King.
    Queenie fuhr den Hügel hinauf, hinter sich die Sonnenscheibe, die im gelben Dunst schwebte. Steil ging es wieder hinab, dann linker Hand in den Weg hinein, der schon nicht mehr als Straße bezeichnet werden konnte. Das Mädchen mußte Willen und Gedanken wieder auf das Steuer konzentrieren. Haufen von Hagelkörnern lagen noch in den tiefen Wegfurchen. Das Gras flatterte unter den Böen, die langstieligen Blütenkolben der Jucca spielten frech im Wind. Ausgetrocknete Büsche, ohne Blätter, mit den Wurzeln ausgerissen, tanzten mit dem Staub über das Gelände. Das alles war Queenie vertraut gewesen, aber heute erschien es neu, angreifend und gefüllt mit Rätseln, die wie schwarze Kerne aus Fruchtkapseln hervorkommen und sich verbreiten konnten, um neue Rätsel hervorzubringen.
    Der Motor gehorchte überraschend gut. Queenie fuhr, wie sie auch zu reiten pflegte, mit leichter Hand steuernd, mit raschem Ruck, mit genau berechneter Wendung, wenn ein Hindernis auftauchte. Diesen Weg zu fahren, auf dem sich Queenie jetzt befand, bedeutete eine Art von Artistenkunst. Sie war mit vierzehn Jahren eine solche Artistin am Steuer

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