Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
Vom Netzwerk:
geworden. Ohne solches Geschick konnte man von der Ranch nicht mit dem Wagen zur Schule oder zur Agentur kommen. Es war eine durchschnittliche mittlere Fähigkeit des modernen Prärie-Indianers, sagte sie vor sich hin, als ihr Ella und das Gespräch am Abschiedsmorgen des Ferienbeginns wieder einmal einfielen. Queenie gewann ihre Selbstsicherheit zurück, die sie nach ihrer Begegnung mit Joe King verloren zu haben fürchtete. Sie besaß die Fähigkeiten, die hier gebraucht wurden.
    Der Sturm heulte plötzlich auf. Es wurde finster, und das Mädchen brach alle Gedanken ab. Sie war schon zu weit von der Agentur entfernt und dem Hause des Vaters noch nicht nahe genug, um von irgendeinem Menschen Hilfe erwarten zu können. Jetzt galten nur noch der Sturm und das baumlose Land und ein bißchen Leben, das sich behaupten wollte.
     

Nacht in der Prärie
     
    Queenie umklammerte das Steuerrad. Ihre Kräfte reichten kaum mehr hin, um es festzuhalten. Der Sturm fauchte von den Wüsten Mexikos und Arizonas bis hinauf in die Eissümpfe des kanadischen Nordens; es war just ein Land für den Sturm, für ihn geschaffen, sein Reich. Er orgelte nicht in den Bäumen; ihr klägliches Geäst war für ihn nichts als ein unwürdiges Spielzeug, das er entblätterte und brach. Mit dem Staub spielte er und mit den Wolken, er drehte sie durcheinander, daß das Untere nach oben, das Obere aber nach unten kam. Dächer warf er in die Luft und polterte mit ihnen wieder auf den Boden. Durften sie ihn hindern? Sein Bruder war der Blitz, der vom Himmel zur Erde fuhr, und er heulte gegen das Gebrüll des Donners, das nicht gewaltiger sein konnte als die Stimme des Präriesturms.
    Queenie sah den Weg nicht mehr. Das Tageslicht konnte noch nicht erloschen sein. Aber Staub und Wolken ließen es nicht mehr durchdringen. Wieder brachen Wassermassen herunter; sie trommelten auf das Dach des Wagens, die Scheiben trieften. Der Weg wurde im Umsehen ein Bach, ein reißender Bach. Er nahm Erde mit, grub sich neue Betten und lehmige Canons bis zu einem Meter Tiefe, wusch die Erde unter den Rändern weg und spritzte unter dem Wagen. Queenie bremste, aber sie hatte sich schon zu weit gewagt im unsichtigen, schlüpfrigen, ausgewaschenen Gelände. Der Wagen rutschte und stellte sich schief. Er war mit einem Hinterrad in einer tiefen, glitschigen, wasserdurchspülten Furche hängengeblieben.
    Aus.
    Queenie fand sich damit ab, in der Lage, in die sie jetzt geraten war, mindestens einige Stunden aushalten zu müssen. Sobald das Unwetter vorüberging, wollte sie zu Fuß zur väterlichen Ranch laufen und – nicht zur Freude des Vaters – berichten, wo der Wagen steckte. Wenn sie des Abends nicht mit dem Bruder nach Hause kam, wie die Eltern erwarteten, so machten sich Vater und Mutter darum wahrscheinlich noch nicht viel Sorgen. Sie nahmen sicher an, daß die Geschwister vor dem Unwetter irgendwo rechtzeitig haltgemacht hatten. In einer solchen Situation nahm auch die ärmste Indianerfamilie zwei junge Menschen für eine Nacht auf.
    Es wurde Queenie erst unheimlich zumute, als der Sturm nicht nachließ, sondern mit hinterlistigen Böen und Wirbeln begann. Hin und wieder lüftete er den Wagen, als ob dieser nichts weiter als eine Streichholzschachtel sei. Etwas schlug heftig gegen die Windschutzscheibe. Queenie konnte nur erraten, daß es ein großer Ast gewesen war. Der Bach auf dem Weg hatte sich vertieft, der Wagen sank weiter ein, das Wasser rauschte schon bis zur Tür herauf. Wenn Queenie nicht genau wußte hätte, daß sie auf einem Weg gefahren war, hätte sie geglaubt, aus Versehen in einen Fluß geraten zu sein. Die Nacht war schwarz, stumpf, ohne Glimmern, ohne Schimmer. Das Wasser rauschte in dem neu gefundenen Bett, der Sturm pfiff und spielte mit sich selbst, und Queenie war allein. Ihre Füße wurden naß. Dann hob es sie, als ob eine übermenschliche Faust den Wagen mit allem, was darin war, gepackt habe. Aus Wasser und Furchen hob der Sturm das Gefährt und warf es gegen einen Abhang. Queenie hatte sich zu einer Kugel zusammengerollt und den Kopf zwischen die Knie gedrückt.
    Als das Rollen, Holpern, Schlagen und Überschlagen aufhörte, rollte sie sich wieder auseinander und stellte fest, daß der Wagen auf seinem Dach lag; die Räder in der Luft, wie eine auf den Rücken gefallene Fliege. Es war noch einmal alles gut gegangen. Der Sturm hätte den Wagen auch mitnehmen und irgendwo zerschmettern können. Queenie richtete sich in der neuen Lage ein. Sie

Weitere Kostenlose Bücher