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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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hatte einige Prellungen davongetragen. Das tat nichts. Alles, was nicht unmittelbar ans Leben ging, erschien ihr jetzt schon angepaßt und erträglich. Jedenfalls hatte der Sturm sie aus dem Bach herausgeholt!
    In dem Augenblick, in dem Queenie diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, schoß eine neue Flutwelle in das Prärietal hinein.
    Queenie arbeitete an dem Fenster, um aus dem Wagen, in dem sie zu ertrinken fürchtete, noch hinauszugelangen. Mit dem Griff eines feststellbaren Taschenmessers, das sie auf Reisen stets bei sich trug, versuchte sie eine Scheibe einzuschlagen, da die Kurbeln nicht funktionieren wollten.
    Zerkratzt, mit zerrissenen Kleidern, deren Fetzen naß am Körper klebten, stand sie endlich außerhalb des Wagens, bis über die Knie im Wasser. Ihr Haar flatterte im Sturm. Sie wußte nicht, wie sie sich halten sollte. Der Winddruck warf sie fast nieder, und sie mußte jeden Augenblick fürchten, daß der Sturm sie so wie vorher den Wagen ergreifen und irgendwohin schleudern würde. Sie stand in der Sturmrichtung, das war gefährlich. In ein Quertal hätte sie sich retten müssen, aber nun war alles zu spät. Es blieb nichts übrig, als zu atmen, solange sie vermochte. Wenn sie einen Schritt zu machen versuchte, glaubte sie den Halt zu verlieren, selbst wenn sie sich an dem Wagen festklammerte. Der Boden unter dem Wasser war schlüpfrig und hatte Löcher. Der Sturm war zu gewaltig.
    Die Anstrengung war für das Mädchen sehr groß. Die Knie zitterten ihr. Auch mit dem Rücken gegen den Sturm gewandt, konnte sie nur noch schwer atmen. Es schwindelte ihr, und sie war so erschöpft, daß ihr alles gleichgültig werden wollte. Sie dachte aber noch: Es ist feige aufzugeben. Ich will kämpfen, solange ich noch denken kann, noch denken kann… noch denken… kann… Vater… ja… Mutter… ja, ja… noch denken… »Stonehorn!« schrie sie hinaus. Er war nicht der einzige, der wissen konnte, wo sie hingefahren war und wann sie gefahren war, aber er war der einzige, von dem sie erhoffte, daß er… ja, daß er… ihr vielleicht… gefolgt… und daß er dem Sturm widerstehen…
    »Stonehorn!« Der Sturm wehte ihr das Wort vom Munde weg. Aber dann kam wirklich der, den sie gerufen hatte.
    Seine Arme packten sie, als ob sie leicht wie ein Kind sei, und sie spürte den menschlichen Körper wie das Leben selbst, das sie liebte. Er trug sie ein gutes Stück weit, sie wußte nicht, wie lange oder wohin, aber sie war so vollständig geborgen, daß sie zu denken aufhörte und kein Gefühl mehr mit einem Wort hätte bezeichnen können.
    Die Gewalt des Sturms schien nachzulassen. Der Mann hatte sie wohl in ein Seitental getragen; auch diese Vorstellung war mehr Instinkt für sie als Bewußtsein. Der Kopf sank ihr zurück. Sie fand irgendeinen Halt dafür, und sie schlief ein.
    Als sie wieder erwachte, verstand sie erst nicht, wo sie war, aber sie hatte doch so viel Gefühl dafür, daß sie die Stille nicht mit einer Frage zerriß. Ihre Lider öffneten sich nur halb, und sie fand kein Licht, aber auch nicht mehr das stumpfe Schwarz. Ein Stern glänzte matt zwischen letzten Nebeln, abfließendes Wasser rauschte, der Wind strich über die Gräser, die er gepeitscht hatte. Sie lächelte, denn sie spürte jetzt, daß ihr Kopf an der Schulter eines Menschen lag. Sie wandte ihm ihr Gesicht zu, und sie sagte noch immer nichts. Aber sie spürte von neuem das Leben und daß sie nicht gestorben und nicht zwischen schmutzigen Wassern verreckt war.
    Als er sie an sich zog, sacht erst, dann mit seiner ganzen Kraft, schien ihr erfüllt zu sein, was sie verborgen vorgefühlt und in scheu gehüteten Träumen gesehen hatte, und die erste Leidenschaft ihres jungen Körpers und ihrer jungen Seele vereinten sich so mit der vollkommenen Leidenschaft des Mannes, daß ihr alle Schmerzen Seligkeit wurden.
    »Inya-he-yukan«, sagte sie leise, deutlich, andächtig, als sie auf der nassen Wiese lag und wieder Mond und Sterne leuchten sah. Seine Augen waren merkwürdig, aber sie glaubte, alles, was darin verschlossen war, auch in sich verschließen zu können. Sie konnte warten; die Seligkeit kannte keine Zeit.
    Sie erkannte erst jetzt, daß er keine Kleider trug, sondern nur den ledernen Lendenschurz nach alter Indianerart, am Gürtel ein Stilett, am Schulterhalfter zwei Pistolen. Nahebei weidete ein Pferd, das ebenso triefendnaß war wie die beiden ersten Menschen in der Urzeit der Prärie. Sie lächelte, und auf seinem Gesicht erschien auch

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