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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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bitte?«
    »Ja.«
    »Sehr gut. Wenn Sie die Kinder finden könnten! Oh, was für eine Erlösung wäre es für die unglücklichen Eltern. Sie werden sich sehr viel Mühe geben?«
    »Vielleicht, Miss Thomson. Ich kann das schwer voraussagen.«
    Ein Schatten huschte über das Gesicht der pflichtbewußten Sekretärin. Sie wendete und balancierte den Dienstwagen die schlechte Wegstrecke hinunter, dann gab sie Gas.
    Joe hatte nicht viel Vorbereitungen zu treffen. Er schlief noch einmal mit im Zelt und machte sich schon vor Tagesanbruch mit dem Wagen auf. Als die Besitzerin des Selbstbedienungsladens in der Agentursiedlung ihm in der Frühe die Nebentür öffnete, kaufte er Dauerware und Mineralwasser, um in bezug auf leibliche Bedürfnisse jederzeit unabhängig zu sein. Er tankte noch einmal und ließ dann das Cabriolet die Straße nach New City laufen. Abgesehen von seinem Stilett, hatte er keine Waffe bei sich. In New City erschien er, nicht ohne ein gewisses Vergnügen, auf der Haupt-Polizeistation, auf der er nach der Schlägerei eingeliefert worden war. Er verlangte auf der Kriminalabteilung Informationen zu dem Verschwinden von Jerome und Caroline; nach einer Rückfrage bei Elgin wurde ihm mit widerwilligen Mienen Einblick in den Bericht gewährt. Joe ließ sich das Datum seiner Ausfahrt auf die Bescheinigung stempeln und fuhr zunächst zu seiner Schwester in den Vorort-Slums. Er überprüfte, daß sein Jagdgewehr, das er während seiner Bewährungszeit nicht tragen durfte, noch gut verwahrt war, und suchte dann aus einem Kästchen, das er vor seiner Rückkehr auf die Reservation der Schwester anvertraut hatte, einen kleinen Bund mit allerhand merkwürdigen Schlüsseln hervor. Er besichtigte jeden einzelnen und nahm den ganzen Bund mit sich. Nachdem er den Kindern noch Tüten mit gemischten Nüssen geschenkt hatte, über die sie wie immer gierig herfielen, startete er nach den waldigen Hills.
    Er fuhr in das Naturschutzgebiet ein, zahlte die kleine Gebühr und erreichte am Nachmittag den dunklen See zwischen Wald und Fels. Dort parkte er, stieg aus, lief um die Ufer und die angrenzenden Höhen, sah sich die eine zum Baden geeignete Stelle an, ließ sich dort nieder und verzehrte seine Tagesration. Er war der einzige Mensch ringsum. In der rauhen Jahreszeit wurde diese Gegend, die im Sommer überlaufen war, kaum besucht. Da Joe sich vor Beobachtern sicher fühlen konnte, benutzte er die Gelegenheit, öffnete den Schlüsselbund und warf abwechselnd mit Steinchen die Schlüssel einzeln an der tiefsten Uferstelle in den See. Auch den Schlüsselring warf er, etwas abseits, ins Wasser und behielt nur zwei größere Dietriche bei sich.
    Eine weitere Suche nach Jerome und Caroline schien ihm bei dem in jeder Richtung polizeilich durchgekämmten See nicht viel Erfolg zu versprechen. Er fuhr abends noch weiter, bis er nach Mitternacht die Gegend der Labyrinth-Höhle erreichte. Dort stellte er seinen Wagen auf ein flaches Wiesenstück am Straßenrand und schlief ruhig und lange. Zu hoher Vormittagsstunde trank er Mineralwasser, setzte seine Fahrt fort und lenkte in die geschotterte staubige Straße ein, die mit ihrem Wegweiser ›Zur Labyrinth-Höhle‹ den Endpunkt bekanntgab. Das Holzhäuschen des Höhlenführers, in dem im Sommer die Eintrittskarten verkauft wurden, war geschlossen, aber Stonehorn fuhr eine schmale, an den heimischen Furchenweg gemahnende Straße weiter bis zu dem Wohnhaus. Auf Klopfen und Rufen kam ein Mann heraus. Er war noch nicht alt, ein Kriegsinvalide, und hatte hier einen passenden Job gefunden. Er zeigte sich nicht eben unfreundlich, doch mißtrauisch, wollte nicht in den Wagen des Fremden mit einsteigen, um für eine Einzelbesichtigung zum Höhleneingang zu fahren, brachte vielmehr seinen eigenen in Gang und ließ sich von dem Besucher die Einzelgebühr von einem Dollar achtzig im voraus geben. Sobald das Geschäftliche in dieser Weise erledigt war, startete der Führer, und Stonehorn folgte ihm mit dem Cabriolet. Es ging einen breiten Wiesenweg entlang, den beide Fahrer mit gleicher Geschicklichkeit nahmen.
    Vom Parkplatz aus, der von dem Eintrittskartenhäuschen leichter zu erreichen gewesen wäre, leitete der Führer zu Fuß zu den beiden versteckten Höhleneingängen in einem Tal, dessen Hänge steil aufstiegen. Der eine Eingang war offen, und es lagen Reste von verkohltem Holz auf dem Felsboden. Der Führer erklärte, daß dieser Höhleneingang schon früher von den hier lebenden Indianern als

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