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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Wolfsblut, würden die weißen Männer sagen, aber das trifft es nicht. Wir sind keine lechzenden Raubtiere. Unser Ahn ist der Bär – stark, gut, geheimnisvoll, gefährlich. Tückisch, sagen die Weißen, weil sie ihn nur im Zirkus und im Zoo kennenlernen und die freien Bären nicht verstehen. Er kämpft um seine Jungen, auch wenn er dabei sterben muß. So ist er.«
    »So seid ihr. Das ist wahr, Queenie; Sie selbst erscheinen oft geglättet, abgeschliffen, und doch bricht auch aus Ihnen immer wieder das heraus, was Sie Bärenblut nennen. Aus dieser Kraft heraus malen Sie auch. Nicht ohne Vernunft, aber Vernunft mit der Kraft vereint.«
    »Ich danke Ihnen, Doc. – Verstehen Sie: Es ist hier so wohltuend und zugleich so fremd wie in der Kunstschule. Alles erscheint als ein Geschenk, Geschenk der Sieger – der Geister, die sich Weiße nennen… Geld für Schulen, Geld für Krankenhäuser, Geld für Arbeitslosenunterstützung, Geld für Wege…«
    »Alles Geschenke der Geister, die euch alles weggenommen und auf dürres abgelegenes Land gesetzt haben, um dann eure Wohltäter und Vormunde zu spielen!«
    »Aber in Wahrheit geht es doch um unsere vertraglichen Rechte, Doc. Als Ausgleich für den großen Landverzicht haben unsere Väter diese Rechte für sich und ihre Kinder auf alle Zeit erhalten. Aber die weißen Männer stehlen uns unser verbrieftes Recht, wenn wir uns nicht ihrer Vormundschaft beugen und wenn wir nicht auf dem wüsten Fleck Erde sitzenbleiben, auf den sie uns getrieben haben. Warum eigentlich? Den Völkern in Afrika und Asien werden nicht solche Bedingungen gestellt. Wie die weißen Männer gegen uns verfahren, das ist ungerecht, es ist Gewalt gegen Recht.«
    »Ich höre Joe, Queenie.«
    »Bitte, ja, hören Sie ihn! Es ist Gewalt gegen Recht. Aber die Unmündigkeit, die für den Menschen eine Gefangenschaft ist, und das gemeinsame Elend und Leiden haben uns als ein Volk erhalten, und das Volk hängt an dem letzten Rest seines Bodens und vergißt seine Rechte und seine Freiheit nicht. Wir sind Menschen! Wir – ja, auch ich – ich denke an mein Kind, darum bin ich so heftig.«
    »Wem sagen Sie das, Queenie.«
    »Ihnen, Doktor Eivie, damit Sie es weitersagen. Ich weiß, Sie wollen nicht unser Wohltäter sein, sondern unser Freund werden. Es ist aber wahr, daß wir nur da äußerlich gut leben, wo wir als ›Wohlfahrtskinder‹ leben müssen, und da, wo wir ganz bei uns selbst in unserer großen Niederlage stehen, ist alles noch roh – Rudiment, meine ich –, zerbrochen, verzweifelt, voller Zwist und Kampf. Aber gerade da ist es auch lebendiger – und ich liebe das Gegensätzliche in uns, das Harte und Sanfte, das Vergangene und das Zukünftige. Wir stehen an einer Schwelle.«
    »Queenie, das tun wir alle und immer. Aber die eure trennt und verbindet zwei Welten. Wie ihr jungen Indianer damit fertig werdet, das ist für uns alle wichtig.«
    Es dunkelte draußen. In der Neubausiedlung glänzte das Licht hinter Fenstern auf, aber die Prärie gab sich bis zum Horizont nur dem Abschied von der Sonne hin.
    Eivie mußte gehen.
    »Zum Abschied, Missis Queenie King: nennen Sie mich nicht Doctor, ich bin ein einfacher Arzt.«
    »Für uns sind Sie ein Medizinmann, Doc.«
     

Lebensweisen
     
    Am nächsten Tag fuhr Queenie mit Joe dem Tal der weißen Berge zu. »Bist du wirklich gesund, Queenie?« Seine harmonische junge Frau nahm Joe ganz ein.
    »Nach Thermometer und Uhr schon seit Tagen, Joe, aber auf unsere Weise erst jetzt, wenn ich wieder bei dir bin.«
    Stonehorn lächelte, auch von ihm fielen Schalen ab.
    Sie konnte seine schlanken braunen Hände und seine schwarzen Augen nicht sehen, ohne verliebt zu sein.
    Die beiden blieben einen frohen ersten Tag allein. Okute kehrte erst am nächsten von seinem langen Ausflug zurück.
    Die Verhandlung über den Tod des Harold Booth, die bald darauf stattfand, verlief kurz, und Queenie brauchte keine zusätzlichen Fragen zu beantworten: Franks Aussagen und der ärztliche Befund genügten. Sie wurde freigesprochen für Tötung in Notwehr. Die Pistole erhielt sie als eine Selbstschutzwaffe zurück. Es gab niemand, der beantragt hätte, Joe als ›nicht bewährt‹ zu melden. Die Leiche des Harold Booth war vom Gericht freigegeben und auf dem Friedhof nahe dem Haus der Kings beigesetzt worden. Dem Sarg waren Isaac Booth, Mutter Booth und Mary gefolgt. Es verbreitete sich das Gerücht, daß Isaac Booth die Ranch aufgeben und zu seinen Kindern außerhalb der Reservation

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