Nacht über der Prärie
eine Viertelstunde zwischen vieler und immer drängender Arbeit. Margot freute sich an Queenies frischem, unbeschwertem Ausdruck und an der Schönheit ihrer harmonischen Züge. Es schien, als ob das Finstere aus dem Gedächtnis der jungen Frau entschwunden sei. Vielleicht war es aber nicht verweht, sondern versunken und hatte einen Grund gefunden, in dem es noch ruhte.
»Bitte, erzähl mir von dir, Margot, und von Ed!« Queenie dachte daran, daß Ed bald ihr Richter sein würde.
»Von Ed«, antwortete die ruhige Stimme. »Wenige kennen seine Lebensgeschichte, aber dir will ich sie berichten, Queenie. Wenn ich Eds Vater und seiner Mutter glauben kann, ist mein Mann einst ein fröhliches Kind gewesen, aufgeweckt und klug, doch waren und blieben seine Eltern arm auf dem armseligen Boden der Reservation. In der Anfängerklasse wurde Ed der beste Schüler, und zum erstenmal in seinem Leben bekam er gutes Essen. Er konnte herzhaft lachen, sagten sie, und er lachte gern. Mit sieben Jahren wurde er augenkrank wie auch einige der Nachbarskinder. Trachom! Eine schlimme Krankheit unserer Kinder. Ohne Wasser ist es schwer, die Augen sauberzuhalten, du weißt es. Die Operation hat nichts genützt. Er blieb blind.«
»Das war sehr schwer für ihn.«
»Bitter für das Kind – als die Binden abgenommen wurden und es erfuhr, daß es nie mehr sehen würde. Zwei Jahre half Ed daheim. Das war zum Verzweifeln für ihn, denn er konnte dort nichts lernen. Endlich wurde er in eine Blindenschule außerhalb der Reservation aufgenommen. Er begann wieder zu leben. Er hat als einziger Indianer unter weißen Kindern gelernt, er hat das Baccalaureat gemacht, er hat das College besucht, er hat ein Stipendium für die Universität erhalten und hat studiert. Sein Wille ist eisern.«
»Ich bewundere euch sehr, dich, Margot, und Ed.«
»Er erscheint manchmal nüchtern, gefühllos. Das Leben hat ihn gepanzert. Aber ich glaube, er ist jetzt am rechten Platz.«
»Er wird über mich richten, Margot.«
»Der Freispruch ist dir schon gewiß, Queenie. Sei ruhig. Es gibt nur einen, den Ed nicht freisprechen will, das ist er selbst. Er hält sich für mitschuldig, weil er Harold nicht in Untersuchungshaft genommen hat, sondern ihn gegen Kaution frei umherlaufen ließ, wie es Richter mit reichen weißen Männern zu halten pflegen.«
Margot wurde abgerufen, und Queenie ließ im Dämmer die Begegnung mit Ed Crazy Eagle als Gedächtnisbilder an sich vorüberziehen. Es war Luft von draußen, die wieder hereinwehte. Auch Ed hatte noch zu lernen, und er verstand das. Queenie fühlte sich dadurch mit ihm verbunden.
Als die Sonne gesunken war, kam Eivie. Sein Besuch hatte nichts mit der üblichen Arztvisite zu tun. Er hatte sich ein paar Minuten für Queenie aufgespart. Der Puls der Patientin ging ruhig, die Farbe war frisch, das abwechslungsreiche Essen schmeckte, die tägliche Brause tat wohl. Alle Aufstehübungen waren befriedigend verlaufen.
»Morgen ist Besuchstag, Queenie. Wenn Sie wollen, können Sie mit Ihrem Mann nach Hause fahren. Ich verantworte es aber auch, wenn Sie noch drei bis vier Tage bleiben. Es würde Ihnen guttun.«
»Meinen Sie?«
»Ist es nicht wunderbar hier?«
»Wunderbar, ja, aber nicht daheim.«
»Ich weiß! Wenn Sie Ihren Mann sehen, dann gibt es kein Halten mehr.«
Queenie lächelte und wurde verlegen. »Es ist wirklich schön hier, Doctor Eivie, und ich bin Ihnen und allen Schwestern sehr dankbar. Aber… fremd ist es doch.«
»Das ist jedes Krankenhaus für jeden Patienten.«
»Vielleicht. Ja. Sicher. Aber für einen indianischen Patienten ist es doch noch etwas anderes.«
»Manche Indianer möchten am liebsten nicht mehr fort von hier, und immer mehr suchen uns freiwillig auf, seitdem wir sie nicht mehr zwangsweise holen. Andere fürchten sich noch, zu uns zu kommen. Warum eigentlich?«
»Ein solcher Gegensatz – entschuldigen Sie, meine Gedanken sind langsam geworden, weil hier alles vollkommen erscheint, das schläfert sanft ein. Weiß ist es hier, licht, sauber, geregelt, rhythmisch, ordentlich, ruhig. Air-conditioned. Wunderbar. Nach Uhr, Thermometer und allgemeiner Disziplin. Nicht wahr?«
»Sprechen Sie nur weiter.«
»Aber daheim ist alles voller Gegensatz, grausam und liebevoll, schmutzig und schön, grenzenlos und erstickend – Prärie in Gefangenschaft, aber neues Leben mitten aus der Verwesung.«
»Ja. Sprechen Sie sich einmal aus, Queenie, ich höre zu.«
»Ja. Wir sind Bärenblut, wir Indianer,
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