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Nacht über der Prärie

Nacht über der Prärie

Titel: Nacht über der Prärie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Agentursiedlung. Vermutlich war Queenie zu Pferd in die Agentur gekommen. Als Cowgirl in Hosen und Bluse gekleidet, harmonisch gebaut, mit sanften Zügen, wirkte sie reizvoll und mußte unwillkürlich Sympathie wecken.
    Bruce schaute zu ihr hin, ohne die Arbeit zu unterbrechen.
    »Das war ja eine staubige Fahrt«, sagte sie mit einem Blick auf die noch schmutzigen Teile des Wagens.
    Bruce nahm das Angebot eines Gespräches bereitwillig an. »Die Straße ist gut. Aber zwischen New City und Carneyville hatten wir Staubsturm – ich dachte schon, es reißt mir das Steuer aus den Händen, und sehen konnte man auch nichts mehr. Wenn Ihr Mann mich nicht abgelöst hätte, es wäre uns schlecht ergangen. Ihr Mann fährt gut, und er hat den sechsten Sinn für die Richtung, das muß man sagen. Er fährt so gut, wie er reitet.«
    Queenie lächelte; ihr Lächeln war wie ein dünner silberner Streifen.
    »War auch ein Glück, daß wir den Privatwagen genommen hatten«, erzählte der Fahrer weiter. »Der ist doch bedeutend stärker als der andere. Und air-conditioned.«
    Da der Fahrer so ungezwungen plauderte, konnte Queenie sicher sein, daß sich zur Zeit weder der Superintendent noch seine Gattin im Hause aufhielten.
    »Hoffentlich kommt mein Mann auch bald zurück«, sagte sie.
    »Sie werden ein wenig Geduld haben müssen, Missis King, denn er ist ja von Carneyville aus noch weitergefahren. Die Herren da hatten einen Wagen, davon kann auch der Superintendent nur träumen!« Der Fahrer stellte den Schlauch ab und kniff ein Auge zu. »Einen Wagen, wie ihn die Milliardäre aus Spaß halten, die wirklich großen Gangster, weil sie so etwas für das Geschäft nötig haben, und die Spezial-Polizeiabteilungen, die sonst überhaupt aus dem Rennen fallen. Das war ein Ding!« Er pfiff, während er jetzt den Schwamm zur Hand nahm.
    Queenie dachte ein paar Sekunden nach.
    »Sir Hawley ist sicher schon im Dienst?«
    Die junge Indianerin sagte ›Sir‹ Hawley. Der Superintendent, auf dieser Reservation noch nicht lange im Dienst, stammte aus dem Süden, wo er auch seine Beamtenlaufbahn begonnen hatte. Seine Familie, die einst großen Grundbesitz besessen hatte und noch immer ein ansehnliches Stück Land besaß, wahrte ihre Traditionen aus dem Alten England und pflegte die Haltung von Aristokraten. Die Urgroßmutter Peter Hawleys war eine Indianerin aus Häuptlingsgeschlecht gewesen; man schämte sich ihrer nicht, sprach aber doch nur selten von ihr. Die ungewöhnliche seigneurale Haltung Peter Hawleys hatte seine Umgebung daran gewöhnt, auch außerhalb des Umkreises dienstlicher Anrede von Sir Hawley zu sprechen; er wußte das und nahm es als selbstverständlich an.
    Queenie hörte den Fahrer antworten.
    »Nur zum Baden und Frühstücken daheim gewesen und gleich hinüber ins Büro. Er ist so eifrig wie ich. Hab seit gestern kaum ein Auge zugetan. Das ist im Beruf des Fahrers noch gefährlicher als in dem des Superintendent, glauben Sie mir!«
    Queenie grüßte mit einem kleinen, dankenden Nicken und schlenderte zu dem Seitenweg zwischen den Gärten, der auf die Hauptstraße der Agentursiedlung zurückführte. Ihr Pferd freute sich, als sie kam. Sie klopfte ihm den Hals und ging weiter zu dem Büro des Superintendent.
    Die neue Sekretärin, Miss Thomson, schaute von der Maschine auf, als Queenie vor ihr stand. »Wie gut, daß Sie da sind, Missis King. Der Superintendent möchte Sie sprechen. Im Augenblick ist noch Sitzung – wenn Sie in einer Stunde wiederkommen? Geht das?«
    »Ja.«
    Queenie wußte keine Bekannten in der Nähe, die während der Dienstzeit zu Hause sein konnten, weder in der Agentursiedlung noch in der Hospitalsiedlung, noch in der anschließenden Neubausiedlung für indianische Familien, die hier tätig waren; und im Dienst mochte sie niemanden stören, nicht einmal die Wohlfahrtsdezernentin Kate Carson, die immer freundlich gewesen war. Sie konnte nichts tun, als das Ende der Sitzung abzuwarten und anschließend die Möglichkeiten der Mittagspause auszunutzen. So nahm sie auf einem Stuhl ohne Lehnen Platz, der Sekretärin gegenüber, die auf der geräuscharmen Maschine schrieb.
    Als nahezu eine Stunde vorüber war, wurde Miss Thomson zum Superintendent gerufen. Sie kam bald wieder, hielt ein kurzes Stenogramm in der Hand, das sie offenbar aufgenommen hatte, und wandte sich Queenie zu. »Die Sitzung wird länger dauern, als vorauszusehen war. Es ist die große Dezernentenbesprechung, die jetzt jede Woche stattfindet. Sir

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